15August
2001

Awaza zum Zweiten

Kurz vor neun sind wir bei der Busstation und kaufen drei Tickets für umgerechnet etwa je zwei Franken für den Elfuhrbus nach Aşgabat, der turkmenischen Hauptstadt. So haben wir noch Zeit für ein Frühstück. Um halb elf sind wir mit Sack und Pack wieder zurück, der Bus ist aber schon weg…

Dann halt wieder an den Strand von Awaza, wo es vor allem über die Mittagszeit unerträglich heiss wird. Immer wieder gesellen sich Leute zu uns, mit denen wir uns unterhalten. Ein bisschen Russisch verstehen wir inzwischen, teilweise verstehen sie etwas Englisch und vereinzelt sogar ein paar Brocken Deutsch, weil sie während ihres sowjetischen Militärdienstes in Ostdeutschland stationiert waren. Die Gespräche fangen praktisch immer gleich an:
   Wie heisst du?
   Woher bist du?
   Bist du verheiratet?
   Warum nicht?

Die frühe Frage nach dem Verheiratetsein war anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, hat aber einen plausiblen Hintergrund. Eine Heirat bringt beide in eine neue zusätzliche Familie und erweitert so das Beziehungsnetz, was hierzulande fürs tägliche Leben entscheidender ist als die Arbeit. Und wenn wir dann doch einmal über unsere Berufe reden, hören wir nicht selten ein bewunderndes «Oh, Incheniör?!» und plötzlich redet man über (und mit) Töchter im heiratsfähigen Alter. Das Thema flacht aber jeweils schnell ab, wenn herauskommt, dass wir schon um die dreissig sind - in dem Alter noch nicht verheiratet, da ist definitiv was nicht ganz sauber mit den beiden.

Nicht ganz sauber ist auch der auf Lebzeiten «gewählte» turkmenische Staatschef, auch wenn das hier natürlich niemand sagen würde. Zwar merken wir wenig, dass es dem Volk schlecht geht, aber in Wahrheit leben die Menschen hier in einer Diktatur mit einem Narzissten als Chef, der sich selber Turkmenbashi («Führer der Turkmenen» - nach ihm ist auch die Hafenstadt am Kaspischen Meer umbenannt worden) nennt. Übel ist auch der verordnete Personenkult um ihn und bereits am zweiten Tag verspüren wir so etwas wie Verfolgungswahn: auf jeder Banknote, an jedem öffentlichen Gebäude, hinter jedem Schalter, an jeder Reception, in jedem Taxi - praktisch überall grinst uns seine Visage entgegen. Seine Propagandaparole «HALK, WATAN, TURKMENBASHI» (Volk, Land, Präsident), die an vielen Gebäuden prangt, liest er selbst auf jeden Fall rückwärts, denn er kommt garantiert immer an erster Stelle. Um das Volk bei Laune zu halten, gibt es ein paar Vergünstigungen. Benzin kostet fast nichts und Gas bekommen die Leute teilweise gratis, was dazu führt, dass in den meisten Küchen der Gasherd nonstop brennt, denn so müssen sie keine Zündhölzer kaufen. Beides stammt natürlich aus den eigenen, vermutlich gigantischen Erdöl- und Erdgasvorkommen.

Fürs Abendessen suchen wir erneut eine Strandbar auf und freunden uns mit David, dem Sohn der Besitzer, an. Er lädt uns ein, direkt hier zu übernachten und nach Schaschlik, Salat, Tee und Bier legen wir uns auf einer Veranda nahe am Meer schlafen. Wenigstens kühlt es in den Nächten jeweils ordentlich ab.