Berichte von 08/2001

01August
2001

Meteo Station Nr. 1

Ich wache um halb sieben auf und mache eine Erkundungstour. Es donnert und bald darauf setzt Regen ein, darum ich gehe zurück und empfehle weiterschlafen. Gegen zehn drückt die Sonne durch und kurze Zeit später befiehlt Vasha: Essen! Packen! Abmarsch!

Und dann passiert das, wovor ich mich schon vor Reisebeginn am meisten gefürchtet habe: im Park warten drei gesattelte Pferde auf uns.

Nach einem kurzen Intermezzo mit einem Fohlen, das (wie ich) wieder zurück in den Stall will, reiten wir mit Soso vier Stunden durch den schönen, grossteils unberührten Lagodechi National Park zu unserem Ziel, einer Meteo Station, die als Berghütte genutzt wird. Gemäss meiner Sowjetischen Generalstabskarte, die ich vor der Reise in einem Onlineshop erstanden habe, liegt diese Hütte auf knapp 1940 m.ü.M. Kurze Pause zur Entlastung der geschundenen Knochen, insbesondere des Steissbeins, kleine Stärkung und dann bewaffnen sich Soso und ich mit einem Feldstecher und gehen zu Fuss auf Wildsuche. Es soll hier Bären, Wölfe, Luchse, Steinböcke, Wildschweine, Gemsen und Hirsche geben. Natürlich sehen wir kein einziges Tier, stattdessen hören wir vier kurz aufeinanderfolgende Gewehrschüsse. Wilderei sei trauriger Alltag im Nationalpark.

Thiller steigt alleine bis zu einem Grat hoch und hat mehr Glück: es raschelt etwas im Gebüsch, er sieht etwas braunes, felliges - aber der vermeintliche Bär entpuppt sich «nur» als Wildschwein. Dafür schwärmt er von der herrlichen Aussicht.

Nach dem gemütlichen Essen mit einem Kondensmilch-Dessert gönnen wir uns einen Krummen zu Ehren des Schweizer Nationalfeiertages.

 

02August
2001

Abstieg und Rückreise nach Tiflis

Thiller macht vor dem Frühstück noch einen kleinen Ausritt. Nach dem Frühstück wollen wir Soso helfen die Hütte wieder auf Vordermann zu bringen, was er aber nicht zulässt. Also schnappe ich mir erneut einen Feldstecher, suche die gegenüberliegenden Hänge ab und entdecke immerhin ein paar Steinböcke.

Zu meinem Glück bewältigen wir den grössten Teil des Abstieges nach Lagodechi zu Fuss. Zurück bei Nana und Vasha erwartet uns ein riesiges Festessen, wo wir wieder einmal zu viel essen und sicher nicht zu wenig trinken. Georgie, der uns anschliessend wieder gemütlich nach Tiflis chauffiert, ist auch schon wieder da und zusammen mit Natia, die uns zum Abschied eine Flasche Tschatscha und Nüsse schenkt, machen wir noch eine kurze Stadtrundfahrt.

Zurück in der Tifliser Betlemi Street erwartet uns als spätabendliche Überraschung ein geplatzter Boilerschlauch, der uns noch eine Stunde Arbeit beschert.

Frisch herausgeputzt wagt sich endlich auch Natia vor die Linse und erlaubt mir sogar, die Portraitfunktion meines Fotoapparates auszuprobieren. Betreffend Bildqualität verweise ich auf einen früheren Eintrag über mein nicht ganz so Advanced Photo System. Links Georgie unser Chauffeur neben Natia, rechts Soso und vorne wir beide in unserer Standard-Kluft mit leichten Kletterhosen und T-Shirt.

03August
2001

Hängematte

Dieses Foto dokumentiert unseren heutigen Tagesablauf recht gut. Zwischendurch gehen wir einkaufen und am Abend in ein Restaurant essen; später noch in ein Pub mit Live-Musik wo Thiller beinahe durchdreht, weil die Band Sunny Afternoon von The Kinks spielt.

04August
2001

Auf der Heeresstrasse nach Kazbegi

Am Vormittag ein kurzer Besuch in einem Internetcafé, um den Zuhausegebliebenen von unserer bisherigen Reise zu berichten, anschliessend erneutes Packen für die Kasbek-Tour. Am Nachmittag holt uns unser Bergführer Gia ab und gemeinsam fahren wir auf der historischen Heeresstrasse, die schon seit Jahrtausenden von Soldaten und Händlern genutzt wird und zeitweise den Eindruck vermittelt, als wäre sie seit der ersten Begehung nie mehr saniert worden, Richtung Norden.

In der Nähe von Gudauri, dem Wintersportort Georgiens mit einem Sporthotel, das genau so gut im Tirol stehen könnte, machen wir Pause. Gudauri ist Gias Arbeitsort während der Heliskiing-Saison, er kennt dadurch einige Haslitaler-Bergführer und über diese Verbindung sind wir auch auf ihn gestossen. Zudem erfahren wir, dass seine Frau hochschwanger ist und jederzeit ihr zweites Kind zur Welt bringen kann, was eine gewisse Nervosität seinerseits zur Folge hat. Er wird aber rechtzeitig zur Geburt zurück sein.

Nach der Pause fahren wir weiter über den Kreuzpass bis Kazbegi, einem Städtchen nahe der russischen Grenze, wo wir uns in einer einfachen Pension einquartieren.


Oben: Impressionen von der Heeresstrasse mit unserem Restaurant in der Nähe von Gudauri. Unten: Unser Ziel, der Kasbek (5047m), ein erloschener Vulkan, der schon in der griechischen Mythologie eine Rolle gespielt haben soll. Links davon die Gergetier Dreifaltigkeitskirche, die das Cover ungefähr jedes einzelnen Georgien-Reiseführers ziert.

Nachfolgend noch ein Auszug aus meinem vormittäglichen Mail mit einem Rückblick auf unsere bisherigen Georgien-Erfahrungen und der Begründung, warum ich Georgien als Land der Gegensätze betitelt habe:
Sehr gegensätzlich ist schon nur das Land selbst. Schönste Strände am Schwarzen Meer und zahlreiche Vier- und Fünftausender im Kaukasus, fruchtbare Gegenden im ganzen Land und wüsten-/steppenähnliche Gegenden im Südosten, gebirgige Waldlandschaften (die ans Hasli erinnern) im Norden und eher tropisch anmutende, endlos grosse Wälder im Osten.
Auch die vielbesungene georgische Gastfreundschaft ist voller Gegensätze. In der Öffentlichkeit wird gerempelt; sowohl zu Fuss als auch im Strassenverkehr gilt das Recht des Stärkeren, man schreit sich lieber an statt sich zu grüssen. Ist man aber bei einer Familie zu Gast, ist alles wie verwandelt. Es wird alles getan, damit es dem Gast gut geht, die Frau stellt sich in die Küche und die Männer setzen sich mit dir an den Tisch und das Gelage geht los.
Ebenso herrschen zwischen dem öffentlichen und privaten Leben grosse Unterschiede. Alles Eigene, das Haus, das Auto, ist heilig, dazu wird geschaut, geputzt, verbessert und verschönert. Für die öffentliche Infrastruktur scheint jedoch niemand verantwortlich zu sein. Schachtdeckel, Strassenlampen, Stromleitungen - kaputt ist kaputt, geflickt wird nichts.
Sehr gegensätzlich ist auch das Modebewusstsein: während sich die Frauen auch mit bescheidenen Mitteln herausputzen und sehr eitel sind - will man eine Gastfamilie fotografieren, rennt die sechsjährige Tochter genauso vor den Spiegel wie die 80jährige Babuschka - trägt der Mann meist abgetragene Trainerhosen und verschwitzte Hemden. Übrigens wiegt der durchschnittliche Georgier so um die 120 Kilo, was insbesondere bei Polizisten am Strassenrand sehr ästhetisch wirkt, wenn deren Wampe zwischen Hosen und Hemd heraushängt.

05August
2001

Meteo Station Nr. 2

Ich habe dank des kühleren Klimas so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr. Nach dem Frühstück fahren wir noch ein paar wenige Kilometer bis Gergeti auf etwa 1800 m.ü.M. Mit ordentlich viel Gepäck starten wir unseren Aufstieg, vorbei an der Gergetier Dreifaltigkeitskirche und über Alpen mit Schaf- und Rinderherden bis zur Zunge des Gergetigletschers. Begleitet werden wir von einer dreiköpfigen Adlerfamilie und Spalte, einem Hund aus Gergeti, der seinen Namen bekommen hat, weil er mal vier Tage in einer Gletscherspalte verbringen musste.

Über den Gletscher geht’s weiter bis zu einer ehemaligen Meteo Station auf 3652 m.ü.M., die heute als einfache Berghütte dient. Die Aussage von Gia, dass wir not to bad unterwegs gewesen seien, stimmt uns zuversichtlich für die nächsten Tage. Wir beziehen unser Zimmer, essen Suppe und Fertigrisotto, lagern für den Rest des Tages die Beine hoch und geniessen das Panorama.

Die Hütte ist sehr spartanisch eingerichtet. Die Matratzen bieten den Komfort von Spanplatten, es hat zwei Gaskocher, ein paar wenige Kerzen und ein Stromgenerator, der aber nicht in Betrieb ist. Es sind auch ein paar andere Gäste hier.

   
  

Gia unser Guide (man beachte das Logo auf seiner Jacke), ich mit unserem vierbeinigen Begleiter und Thiller beim Abschmecken des Fertigrisottos.

06August
2001

Akklimatisationstour

Kurz nach neun Uhr machen wir uns auf die hier übliche Akklimatisationstour und erreichen bei gemütlichem Aufstieg um die Mittagzeit den etwa 4200 Meter hohen Gipfel Ori irgendwas (Zwei Gipfel). Ori heisst zwei, was wir von ori ludi (zwei Bier) her kennen, was Gipfel heisst haben wir uns hingegen nicht gemerkt.

Zurück bei der Hütte essen wir eine Suppe und versuchen etwas vorzuschlafen, immerhin wird morgen um zwei Uhr Tagwache sein. Ich habe, vermutlich wegen der Höhe, ziemlich Kopfweh und mache fast kein Auge zu. Gegen 20 Uhr noch einmal Risotto essen, packen und der nächste Schlafversuch. Aber auch der scheitert kläglich, diesmal liegt es aber an den feiernden Georgiern, dem dazu ratternden Strom­aggregat und den beiden Israelis in unserem Zimmer, die mit einer Kerze beinahe die Hütte abfackeln. Kurz vor Mitternacht fängt auch noch einer an, Holz zu spalten…

Gipfelbild vom Akklimatisations-Hubel und rechts der Gergetigletscher (mit Spalten und Spalte), dem wir morgen bis in den Sattel folgen werden.

07August
2001

Bergpreis!

Und dann zieht auch noch ein Gewitter auf - haben wir etwas schon wieder Wetterpech?!

Um zwei Uhr erkundet Thiller die Lage und kommt zuversichtlich zurück, es sehe nach Besserung aus. Eine gute Stunde später starten wir. Erst über die Moräne und dann bei einzigartiger Fast-Vollmond-Stimmung dreieinhalb Stunden über den Gergeti-Gletscher bis in den ersten Sattel auf geschätzten 4500 Metern. Der Gletscher ist leicht überschneit, Gia kennt aber den Weg und die riskanten Stellen, immerhin war er schon rund 60 Mal auf dem Kasbek. Er will, dass wir schnell vorankommen und gönnt uns erst hier eine Pause und einen ersten Schluck Tee - zum Glück habe ich in paar Notfallriegel griffbereit in der Jackentasche!

Dann traversieren wir einen endlos scheinenden Hang, bis wir nach zwei weiteren Stunden den nächsten Sattel auf knapp 5000 m.ü.M. erreichen. Warum machen wir für die letzten knapp 50 Höhenmeter noch einmal Pause?

Das merke ich gleich, denn diese letzten Höhenmeter mit einer 45° steilen Eiswand haben es in sich und verlangen noch einmal alles von mir ab, die Luft ist schliesslich schon recht dünn.

Dann, nach etwas mehr als sechs Stunden Aufstieg, erreichen wir den Gipfel des Kasbek auf 5047 m.ü.M. Und wir haben Glück mit dem Wetter, es ist zwar leicht dunstig und der Elbrus, der höchste Kaukasier, lässt sich nur erahnen, aber es könnte schlimmer sein, denn der Kasbek steckt häufig in dichtem Nebel.

Gia gönnt uns gerade Mal zwanzig Minuten auf dem Gipfel - wir stehen da übrigens genau auf der Grenze zwischen Russland und Georgien - er will, dass wir die riskanten Stellen hinter uns haben, bevor es wärmer wird und die Steinschlaggefahr zunimmt. Wir nehmen auch noch einen Deutschen ans Seil, der kurz nach uns allein und schlecht ausgerüstet den Gipfel erreicht. Aber erst bekommt er noch einen ordentlichen Anschiss von Gia über seine Leichtfertigkeit.

Nach sehr zügigem Abstieg sind wir um zwei Uhr zurück bei der Hütte und kurz darauf beginnt es zu hageln. Eine warme Suppe mit Brot, Haslibärger Alpchäs und Gumpesel, bevor wir uns in die Schlafsäcke verziehen, wo es endlich auch mit Schlafen klappt.

08August
2001

Zurück in der Hitze

Zeitig steigen wir ab. Selbst über die Gletscherzunge brauchen wir Steigeisen, was Gia bisher noch nie erlebt hat, aber da es die beiden letzten Nächte viel geregnet hat, ist der Gletscher blank. Kurz vor Gergeti werden wir noch Zeugen eines dubiosen Benzinhandels; das Schmugglerhandwerk scheint zu blühen in dieser Region.

Dann fahren wir zurück nach Tiflis, nicht ohne unterwegs mal wieder etwas rechtes zu essen. Mit jedem Meter wird es wärmer und wärmer. In Tiflis verabschieden wir uns von Gia, höhlen die Flasche Schämpis, die uns Christa und Martin zur Kasbek-Belohnung zurückgelassen haben und essen dazu eine aus Lagodechi mitgebrachte Melone.

Im Abstieg noch einmal an der Gergetier Dreifaltigkeitskirche vorbei.

09August
2001

Hitzefrei

Die Hitze macht uns zu schaffen. Wie angenehm waren doch die Temperaturen in der Höhe und wir würden dafür ohne zu zögern wieder harte Isomatten und lärmende Gäste in Kauf nehmen. Aber es soll in den nächsten Wochen nicht anders werden, denn morgen machen wir uns auf den Weg Richtung Osten.

Ohne Programm dösen wir den meisten Teil des Tages vor uns hin. Zwischendurch gehen wir einkaufen, um den Kühlschrank und den Klopapiervorrat unserer Gastgeber zumindest halbwegs wieder aufzufüllen. Unsere durchgemachten Seuchen haben sich nicht rentiert, kostet doch WC-Papier weicher als 50er-Schleifpapier ein halbes Vermögen.

Am Abend treffen wir uns noch einmal mit Claude, der uns Bilder seiner Reise zeigt und uns weitere gute Ratschläge, insbesondere im Zusammenhang mit Ticketbuchungen und Zollformalitäten, gibt. Die Vorfreude auf die nächsten Wochen steigt. Anschliessend futtern wir uns noch einmal quer durch die georgische Küche.

10August
2001

Aufbruch!

Nach etwas mehr als einem Monat verlassen wir heute Georgien und somit auch unser «Basislager» in der Betlemi Street. Aber zuerst ist natürlich Packen angesagt und das dauert seine Zeit. Die Kühlbox und ein paar andere Sachen können wir da lassen und die Bergausrüstung nehmen Monika und Markus bei ihrem nächsten Heimatbesuch mit in die Schweiz, trotzdem bleibt noch einiges übrig, was wir in unsere Rucksäcke und Reisetaschen verstauen und mitschleppen müssen.

Mitte Nachmittag lassen wir uns zum Bahnhof fahren und kaufen unsere Billette für den Nachtzug nach Baku direkt beim Kondukteur - das kommt uns billiger und er hat auch etwas davon.

Mit rund anderthalb Stunden Verspätung fährt der Zug ab. Unser Abteil ist sehr komfortabel und der Zug fährt ruhig, aber die Hitze macht uns zu schaffen. Der Schlafwagenbetreuer versichert uns, dass es ab der Grenze besser werde, da können sie die Klimaanlage einschalten. Warum das nicht schon jetzt geht, entzieht sich unserem Verständnis. Er serviert uns Tee, den er direkt im Wagen in einem Samowar mit Feuer (!) kocht.

Der Nachtzug nach Baku vor der Abfahrt in Bahnhof von Tiflis und unser Schlafwagenbetreuer vor seinem mit Feuer beheizten Samowar.

Wir schmachten zwei Stunden am Zoll, bis es endlich weiter geht und es wird tatsächlich kühler. Bevor wir uns hinlegen und tief schlafend quer durch

ASERBAIDSCHAN

Richtung Baku fahren, gönnen wir uns noch ein Glas Rotwein.

Visa für Aserbaidschan, ausgestellt in der Botschaft in Tiflis.

11August
2001

Abşeron

Um halb zehn kommen wir in Baku an und lassen uns nach einer mühsamen Preisdiskussion zum Hotel Absheron fahren, wo wir uns im 15. Stock einquartieren. Für 20 Dollar bekommen wir ein einfaches Zimmer in diesem wuchtigen Sowjet-Klotz. Dann frage ich mich nach Anar durch, dem Manager-Stellvertreter für die 9., 11., 13. und 14. Etage. Christa und Martin haben für uns einen Stadtplan und eine Empfehlung für eine Besichtigungstour hinterlegt, die wir grad bei ihm buchen können. Es geht sofort mit Fahrer und Guide los.

Zuerst besuchen auf der Abşeron-Halbinsel den Feuertempel Ateschgah aus dem 17. Jahrhundert. In der Mitte eins Gebäudes brennt ein Feuer, welches durch natürlich austretendes Erdgas gespeist wird. Der zweite Stopp gilt einer alten Befestigungsanlage mit einem recht hohen Wachturm, anschliessend erbetteln wir uns eine Pause am Meer, wo wir uns in die Fluten stürzen. Zwischendurch fahren wir immer wieder an riesigen Salzseen vorbei, ebenso an zahlreichen Ölfeldern, wo unsere beiden Begleiter wenig Verständnis aufbringen, dass wir auch diese fotografieren wollen.

Nächstes Ziel ist der Yanar Dağ (brennender Berg), ein Hügel, wo auf einer Breite von zehn, zwölf Metern ein natürliches Erdgasfeuer brennt. Solche Feuer soll es hier seit dem Altertum geben und Marco Polo habe diese auch schon besucht, erfahren wir. Dann verlassen wir die Halbinsel und fahren in den Süden nach Qobustan, wo es steinzeitliche Felsenmalereien zu sehen gibt. Uns erstaunt vor allem, dass wir uns hier frei bewegen können und die Anlage nicht geschützt ist, solche Malereien müssten doch einen gewissen historischen Wert haben.

Auf die vom Reiseführer empfohlenen Schlammvulkane müssen wir hingegen verzichten, die Strasse dorthin sei in einem zu schlechten Zustand. Wir haben aber eher den Verdacht, dass unsere zwei Begleiter keinen Bock mehr haben.

Am Abend gehen wir mit Anar in ein kitschiges türkisches Restaurant essen und lösen anschliessend in einem Pub das Fett in unseren Mägen mit einem Whisky auf. Wir geniessen die hell beleuchtete Stadt mit Grossteils intakter Infrastruktur - welch ein Gegensatz zu Tiflis.

 
  

Oben: Ölfelder und Bohrtürme prägen einen Grossteil der Abşeron-Halbinsel.
Mitte: Yanar Dağ, der brennender Berg und daneben der Feuertempel.
Unten: einer der Salzseen und die Höhlenmalereien

12August
2001

Altstadt von Baku

Ein scheues Klopfen an der Zimmertüre weckt uns und die Etagendame will wissen, ob alles in Ordnung ist und ob wir noch länger bleiben. Es ist 13 Uhr.

Nach einem späten Frühstück besteigen wir als erstes den Qız Qalası, den Jungfrauenturm in der Altstadt und geniessen die Aussicht über die Stadt und das Kaspische Meer. Beim anschliessenden Schlendern durch die Altstadt fangen uns zwei Teppichhändler ab und laden uns zu einem Tee ein. Sie schätzen mich als Südafrikaner ein und Thiller als Schotten; überhaupt ergeben sich heitere Gespräche und es tut uns fast leid, dass wir den beiden keinen Teppich abkaufen können. Aber das würde unsere bereits voll ausgelasteten Gepäckkapazitäten bei weitem übersteigen - und einen Teppich brauchen wir sowieso grad nicht.

Gegen Abend gehen wir zum Hafen, um uns über die Fahrtmöglichkeiten über das Kaspische Meer zu informieren. Gemäss Claudes Tipp wenden wir uns direkt an den Polizisten bei der Hafeneinfahrt und tatsächlich ist Emil, der Barrierenpolizist, bereit dazu, uns für eine Provision von 50$ etwas zu organisieren. Wir sollen morgen nach dem Mittag wieder vorbei kommen. Und weil er sowieso grad Feierabend hat, gehen wir mit dem Aseri noch ein Bier trinken.

Beim Abendessen in einem mit Feigenbäumen beschatteten Innenhof und einem anschliessenden Bier in einer Gartenbeiz in der Fussgängerzone ergeben sich einige interessante Gespräche mit Einheimischen und Touristen. Nicht nur der Zustand der Infrastruktur, auch der menschliche Umgang in der Öffentlichkeit hat sich seit Tiflis deutlich zum Besseren gewandelt.

Der Jungfrauenturm in der Altstadt und der spätabendliche Blick aus dem Hotelzimmer: ...es ward Licht

13August
2001

Fahrt über das Kaspische Meer

Thiller wacht sehr früh auf, weil sein Körper nach Futter schreit (das tut der eigentlich immer), meiner hingegen will noch schlafen. Nach einem Sonnenaufgangsfoto vom Hotelbalkon aus bestellt er bei den Etagendamen ein Frühstück und bekommt natürlich zwei Portionen. Als ich aufwache, sind beide weg.

Am Vormittag schlendern wir erneut durch die Altstadt und bestaunen den Palast der Schirwanschahs, ein riesiger Komplex mit grossen Kuppeln und Portalen, bei denen der muslimische Einfluss deutlich sichtbar ist. Dann lassen wir uns mit einem alten Wolga zum Hafen bringen, wo Emil bereits auf uns wartet. Er hat eine Fähre für uns organisiert, die am Abend ablegen soll. Wir verhandeln mit dem Kapitän über den Preis für die Überfahrt und mit einem Matrosen über die Konditionen, zu denen wir seine Kajüte nutzen dürfen. Die Fährgesellschaft verdient vermutlich nicht sehr viel an uns.

Wir beobachten das Verladen von Eisenbahnzügen und staunen, wie viele davon Platz auf dieser Fähre haben. Früher als geplant stechen wir in See und wir beziehen dann unsere leicht schmuddelige Kabine, die aber immerhin eine eigene Dusche hat. Die Vorfreude auf eine erfrischende Dusche wird aber mit einem Blick in die Duschtasse getrübt: diese ist Schwarz vor lauter Kakerlaken. Im Anschluss bekommen wir eine Schiffsführung und besichtigen Brücke und Motorraum.

Neben uns sind noch zwei weitere Passagiere an Bord: Leyla, eine türkische Künstlerin und Ahmed auf Geschäftsreise. Mit ihnen und Ichtiar, unserem Kabinenvermieter, verbringen wir den Abend auf Deck mit Abendessen, Bier, Rotwein, Backgammon, Sonnenuntergang und Sternegucken. Herrlich.

   
 

Ober das erwähnte Sonnenaufgangsfoto, daneben der Schirwanschah-Palast, unten links ein Foto mit Emil, dem Hafenpolizisten und rechts mit Ichtiar, Ahmed und Leyla auf der Fähre.

14August
2001

Einreise in Turkmenistan

Nach einer angenehmen Nacht auf See fahren wir in den Hafen von Turkmenbashi ein. Dieser liegt in einer riesigen Lagune, die von unzähligen zweimetrigen und armdicken Wasserschlangen bewacht wird, welche wir von der Fähre aus gut erkennen können. Baden könnt ihr heute ohne mich.

Nach dem Anlegen folgt die Zollkontrolle und da wird das Verwandtschaftsverhältnis der Turkmenen mit den Türken offensichtlich. Eine Zöllnerin, die hier wohl das Sagen hat, durchsucht unser Gepäck, mit grimmiger Miene zeigt sie auf jedes einzelne unserer Gepäckstücke und fordert «open!» und «dawai!». Um das Prozedere abzukürzen, verteilen wir grosszügig Marlboro-Päckli und Villiger-Stumpen. Das zieht zwar weitere Zöllner an, die Dame beeindruckt das aber weniger - nicht mal Schoggitafeln lassen sie erweichen - und nach einiger Zeit liegt unser sämtliches Gepäck gleichmässig verteilt auf den Tischen der Zollstube, inklusive miefiger Schmutzwäsche, in der sie herumwühlt.

Anderthalb Stunden später ist das endlich geschafft, wir bekommen unsere Einreisestempel, packen unser Hab und Gut wieder ein «dawai!» und sind endlich in

TURKMENISTAN.

Einfahrt in den Hafen von Turkmenbashi und unser schwerverdientes Turkmenistan-Visa mit dem schwerverdienten Einreisestempel.

Wir lassen uns inklusive Leyla, die sich uns mehr oder weniger ungefragt anschliesst, von Ichtiar zu einem Hotel fahren, wo das Einchecken ähnlich kompliziert ist wie der Grenzübertritt. Die auszufüllenden Formulare haben noch einen CCCP-Briefkopf, obschon Turkmenistan (wie alle anderen zentralasiatischen Staaten auch) jetzt schon seit bald zehn Jahren unabhängig ist.

Für fünf Dollar bekommen wir ein leider nicht ganz Kakerlaken-freies Zimmer, danach gehen wir mit Ichtiar essen, wechseln Geld und fahren zum Strand von Awaza, dem Badestrand Turkmenistans. Mehr als am Strand herumhängen kann man bei dieser Hitze sowieso nicht tun und sogar ich wage mich zur Abkühlung ins Wasser - von einer Schlange gefressen zu werden sehe ich inzwischen als das kleinere Übel.

Die Turkmenen sind sehr freundlich, interessiert und gesprächig. Und alle wollen sich fotografieren lassen - sehr oft tun wir dabei aber nur so als ob, sonst wäre unser Filmvorrat schnell erschöpft. Am Abend essen wir Schaschlik (Fleisch/Fisch-Mix) in einer Strandbar, dazu ukrainisches Bier und gegen Mitternacht lassen wir uns von einem Taxi zum Hotel fahren.

Der Strand von Awaza mit dem wohl effizientesten Grillmeister aller Zeiten. Unglaublich, welche Mengen an Fisch/Fleisch-Schaschlik der in kürzester Zeit mit wenig Platz und Infrastruktur produziert.

15August
2001

Awaza zum Zweiten

Kurz vor neun sind wir bei der Busstation und kaufen drei Tickets für umgerechnet etwa je zwei Franken für den Elfuhrbus nach Aşgabat, der turkmenischen Hauptstadt. So haben wir noch Zeit für ein Frühstück. Um halb elf sind wir mit Sack und Pack wieder zurück, der Bus ist aber schon weg…

Dann halt wieder an den Strand von Awaza, wo es vor allem über die Mittagszeit unerträglich heiss wird. Immer wieder gesellen sich Leute zu uns, mit denen wir uns unterhalten. Ein bisschen Russisch verstehen wir inzwischen, teilweise verstehen sie etwas Englisch und vereinzelt sogar ein paar Brocken Deutsch, weil sie während ihres sowjetischen Militärdienstes in Ostdeutschland stationiert waren. Die Gespräche fangen praktisch immer gleich an:
   Wie heisst du?
   Woher bist du?
   Bist du verheiratet?
   Warum nicht?

Die frühe Frage nach dem Verheiratetsein war anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, hat aber einen plausiblen Hintergrund. Eine Heirat bringt beide in eine neue zusätzliche Familie und erweitert so das Beziehungsnetz, was hierzulande fürs tägliche Leben entscheidender ist als die Arbeit. Und wenn wir dann doch einmal über unsere Berufe reden, hören wir nicht selten ein bewunderndes «Oh, Incheniör?!» und plötzlich redet man über (und mit) Töchter im heiratsfähigen Alter. Das Thema flacht aber jeweils schnell ab, wenn herauskommt, dass wir schon um die dreissig sind - in dem Alter noch nicht verheiratet, da ist definitiv was nicht ganz sauber mit den beiden.

Nicht ganz sauber ist auch der auf Lebzeiten «gewählte» turkmenische Staatschef, auch wenn das hier natürlich niemand sagen würde. Zwar merken wir wenig, dass es dem Volk schlecht geht, aber in Wahrheit leben die Menschen hier in einer Diktatur mit einem Narzissten als Chef, der sich selber Turkmenbashi («Führer der Turkmenen» - nach ihm ist auch die Hafenstadt am Kaspischen Meer umbenannt worden) nennt. Übel ist auch der verordnete Personenkult um ihn und bereits am zweiten Tag verspüren wir so etwas wie Verfolgungswahn: auf jeder Banknote, an jedem öffentlichen Gebäude, hinter jedem Schalter, an jeder Reception, in jedem Taxi - praktisch überall grinst uns seine Visage entgegen. Seine Propagandaparole «HALK, WATAN, TURKMENBASHI» (Volk, Land, Präsident), die an vielen Gebäuden prangt, liest er selbst auf jeden Fall rückwärts, denn er kommt garantiert immer an erster Stelle. Um das Volk bei Laune zu halten, gibt es ein paar Vergünstigungen. Benzin kostet fast nichts und Gas bekommen die Leute teilweise gratis, was dazu führt, dass in den meisten Küchen der Gasherd nonstop brennt, denn so müssen sie keine Zündhölzer kaufen. Beides stammt natürlich aus den eigenen, vermutlich gigantischen Erdöl- und Erdgasvorkommen.

Fürs Abendessen suchen wir erneut eine Strandbar auf und freunden uns mit David, dem Sohn der Besitzer, an. Er lädt uns ein, direkt hier zu übernachten und nach Schaschlik, Salat, Tee und Bier legen wir uns auf einer Veranda nahe am Meer schlafen. Wenigstens kühlt es in den Nächten jeweils ordentlich ab.

16August
2001

Ludmilla (und) die turkmenische Wüste

Um sieben ist Tagwache. David, Leyla und Thiller wollen ins Meer, ich hingegen nicht, denn ich habe die Wassermonster noch nicht vergessen. Und jetzt, wo mangels anderer Badegäste die Futterauswahl für die Viecher beschränkt ist, muss es erst recht nicht sein.

Sie überleben es und nach einem Frühstück mit richtiger Konfitüre, einer Rarität hier, machen wir uns auf dem Weg zum Busbahnhof. Erst versorgt uns David aber noch mit Proviant (Kartoffel und Eier) und wir müssen traditionsgemäss unbedingt noch Geschenke tauschen. Er schenkt uns ein Feuerzeug für die Weiterreise und Thiller bekommt einen Ring, wir schenken ihm mangels Alternativen ein paar Päckli Marlboro und Villiger aus unserem Vorrat zur Beschleunigung administrativer Prozesse. Leyla hilft uns aus der Verlegenheit und schenkt ihm ein selbstbemaltes T-Shirt.

Abschiedsfoto mit David am Strand von Awaza

Diesmal ist der Bus noch da, aber hoffnungslos überfüllt. Und weil heute kein zweiter mehr fährt und wir terminlich etwas in Zugzwang geraten (wir haben nur ein Transitvisa für wenige Tage), entschliessen wir uns, ein Taxi zu nehmen. Die Angebote beginnen bei 70 Dolari (US-Dollar ist die Universalwährung) und purzeln rasch runter auf 40. Dann kommt - «Sie isch jung, sie isch schön, sie isch schtarch, sie isch gschyd...» - Ludmilla und bietet 30. Zumindest stark ist sie auf jeden Fall: grösser als ich (plus Absätze), breiter als Thiller und ich zusammen und eingenebelt in eine süsslich-schwere Duftwolke. Wir schlagen ein, wuchten unser Gepäck in ihren Schiguli, sie klemmt sich hinters Steuer, ich auf den Beifahrersitz und die kurzbeinigeren Zwei auf die Rückbank. Noch schnell für umgerechnet etwas mehr als einen Franken vollgetankt und einen Reservekanister gefüllt und los geht’s: mit Bleifuss und lärmendem russischen Techno in Endlosschleife aus dem scheppernden Radio fast 600 Kilometer Richtung Aşgabat, Grossteils durch die turkmenische Wüste bei Temperaturen gegen 45 Grad.

Die malerische Landschaft, Nomaden mit ihren Jurten, wilde Kamele und ein weit entfernter Sandsturm schreien nach einem Fotostopp. Ludmilla hingegen schreit «Njet» und gibt uns zu verstehen, das sei bei diesem Preis nicht drin. Wir fahren auch an einigen stehengebliebenen Bussen vorbei und sind uns einig, dass die Alternative mit dem Taxi trotz allem gar nicht so schlecht war. Um 18 Uhr kommen wir in Aşgabat an und sie will noch zusätzliche 3$ für das viele Gepäck. Eigentlich wollten wir ihr sowieso einen Zehner Trinkgeld geben, weil sie aber zu verhandeln beginnt, geben wir ihr fünf und alle sind zufrieden. Noch eine kräftige Umarmung, ein schnelles Foto und weg ist sie.

Wir suchen uns ein Hotel und kommen dem Bedürfnis nach einer ausgiebigen Dusche nach, anschliessend noch ein erster kurzer Stadtbummel, bevor wir uns völlig erledigt zeitig in die Horizontale werfen.

Ludmilla und ihr Lada Schiguli

17August
2001

Aşgabat

Als erstes gehen wir zum Bahnhof und kaufen Tickets für die Weiterfahrt. Weil wir so viel Gepäck haben und die Billette so gut wie nichts kosten, wollen wir vier Plätze für drei Personen buchen. Das übersteigt das Vorstellungsvermögen des Schalterbeamten und nur dank der Hilfe von Mergen, mit dem sich Thiller in der Warteschlange angefreundet hat und der behauptet, das vierte Ticket sei für ihn, klappt es auch.

Danach besuchen wir die monumentale Parkanlage im Stadtzentrum und staunen über die endlosen Bewässerungsanlagen, die den Park mitten in der Wüste grün halten. Dort steht auch der 75 Meter hohe Neutralitätsturm mit einer zwölf Meter hohen goldenen Statue von Präsident Saparmyrat Turkmenbashi oben drauf, die sich immer der Sonne nach dreht. Von der Plattform dieses Towers aus hat man eine einzigartige Aussicht über die gesamte Anlage, auf das Earthquake Memorial (erinnert an ein verheerendes Erdbeben von 1948 mit über 100’000 Toten) und andere Statuen, Gebäude und Plätze.

Der Neutralitätsturm mit Statue und der Blick von dessen Plattform in den surreal wirkenden Park; rechts am unteren Bildrand das Earthquake Memorial.

Nachmittags sind wir wieder beim Bahnhof und nehmen Platz in unserem Zugsabteil neben einer sympathischen Familie. Durchs Fenster beobachte ich das farbenfrohe Treiben am Bahnhof und entscheide mich, noch einmal rauszugehen und ein Foto davon zu knipsen. Zur besseren Übersicht steige ich auf einen Sockel, hebe meine Kamera und … da höre ich jemanden schreien. Ein Mann kommt wild gestikulierend auf mich zu und in dem Moment macht es Klick bei mir (nicht in der Kamera): Bahnhöfe sind militärstrategisch hochsensible Objekte, die man nicht fotografieren darf. Blöder Anfängerfehler, davor wir in jedem Reiseführer gewarnt. Der Mann reisst an mir und meiner Kamera rum und schreit etwas von Polizei, ich schüttle ihn aber ab und gehe von ihm verfolgt zurück in unseren Wagen. Dort fassen die anderen Reisenden schnell auf wo das Problem liegt, reden auf den hyperventilierenden Denunzianten ein und drängen ihn wieder hinaus. Kurz nachdem der Zug losgefahren ist, stehen zwei Bahnpolizisten bei uns und deuten uns, mitzukommen. Thiller geht vor und ich schaffe es gerade noch, heimlich den Film zu wechseln und einen leeren einzulegen. In einem Kämmerchen werden wir befragt und nach einiger Zeit, unterstützt durch einen Grossteil unseres Restvorrates an Zigaretten und Stumpen, können wir die Polizisten davon überzeugen, dass ich tatsächlich kein Foto gemacht habe und retten sogar auch noch den leeren Film.

Zurück am Platz drängt sich der halbe Wagen zu uns ins Abteil für Gespräche, Bilder, Backgammon, Heiratsanträge und gemeinsames Essen. Wir bereuen, dass wir keine Postkarten und Fotos aus der Schweiz mitgenommen haben, denn die Leute wollen natürlich wissen, wie wir leben, wie unsere Heimat, Häuser, Autos, Verwandten, etc. aussehen - und warum wir in dem Alter noch nicht verheiratet sind…

Da sich die Sitze hochklappen lassen und darin unser Gepäck locker Platz hat (mitteleuropäische Zugbauer könnten etwas lernen), übergeben wir unseren vierten Platz an den Familienvater, was dieser dankbar annimmt. Alles in allem ein unvergessliches Erlebnis!

18August
2001

Turkmenabat

Im Grenzstädtchen Turkmenabat müssen wir umsteigen und durch die Zollkontrolle, aber erst machen wir am Bahnhof (!) noch ein heimliches Foto der Familie aus unserem Nachbarabteil. Danach kauft Thiller Tickets für die Weiterfahrt nach Buchara, wofür er anderthalb Stunden ansteht. Plötzlich taucht Mergen wieder auf, wir gehen gemeinsam frühstücken und dabei erklärt er uns das Prozedere für den Grenzübertritt und wir erfahren noch einmal viel interessantes über Turkmenistan und Saparmyrat.

Heimliches Familienfoto am Bahnhof (mit Leyla) und das Visa von Usbekistan, mit dem nachgezeichneten Einreisestempel und dem handgeschriebenen Ausreise»stempel».

Nach dem wir die Ausreisebewilligung bekommen haben, müssen wir durch die Polizeikontrolle, die diesmal kein Problem ist. Für Dutzende hysterische Frauen hingegen schon, sie schmuggeln Benzin in Pet-Flaschen und kleinen Kanistern sowie Zigaretten nach

USBEKISTAN.

Pro forma konfiszieren die Zöllner ab und zu etwas und schicken vereinzelt Frauen zurück, später kaufen sie von den Schmugglerinnen billige Zigaretten.

Leyla bleibt an der Grenze hängen, weil sie kein Visa hat (und uns nicht glauben wollte, dass sie eines braucht), mitten im Getümmel verabschieden wir uns von ihr. Ein Riesen-Gedränge auch beim Besteigen des Zuges, Horden von Menschen drängen sich zu den Eingängen und wir quetschen uns irgendwie hinein. Dank Marlboro und ein paar Dollar bekommen wir noch ein Abteil und so wird die Fahrt nach Buchara trotz des übervollen Zuges doch noch halbwegs komfortabel. Gegen Abend treffen wir dort ein, suchen uns ein Hotel und machen Feierabend.

19August
2001

Buchara

Zeitig machen wir uns auf, das historische Zentrum von Buchara zu besichtigen und beginnen mit dem Labi Houz, der zu meinem Lieblingsplatz unserer Reise quer durch Zentralasien wird: Gemütliches dolce far niente am Rand des künstlichen Teiches bei angenehmen Temperaturen unter jahrhundertealten Maulbeerbäumen. Lieblingsplatz vielleicht auch deshalb, weil wir hier erstmals nach zehn Tagen Reise so etwas wie Rast und Ruhe geniessen.


Labi Houz (persisch «am Teich») mit dem Nodir-Devonbegi-Chanaq.


 
 

Das etwa 50 Meter hohe Kalon Minarett (oben links) und das Chor Minor (oben rechts), die Zitadelle (unten links) und Thiller als Setzkastenfigur der Nodir-Devonbegi-Madrasa (unten rechts).

Nach einem überaus beeindruckenden Tag besuchen wir am Abend ein Freiluft-Theater/Kasperli-Show über Hodja Nasreddin, dem Till Eulenspiegel Zentralasiens. Über ihn gibt es zahlreiche Anekdoten und Geschichten, oft spielt er auch einfach nur eine Witzfigur. Ein Beispiel: Regelmässig überquert Nasreddin mit seinem Esel die Grenze und es gilt als ein offenes Geheimnis, dass er etwas schmuggelt. Doch so sehr sich die Zöllner bemühen, sie finden nie etwas bei ihm. Jahre später trifft er in einer Kneipe einen der Zöllner. Dieser meint, nach all den Jahren und jetzt, da alle im Ruhestand sind, könne er ihm doch erzählen, was er damals geschmuggelt habe. Nasreddin überlegt kurz, gibt sich einen Ruck und sagt: «Esel».

Die Statue von Hodja Nasreddin am Labi Houz und Impressionen von der Aufführung.

20August
2001

Samarkand

Um halb elf fahren wir mit einem Taxi zur Fernbusstation und erwischen noch den Zehnuhrbus, der uns für zwei Mal knapp zwei Franken dreihundert Kilometer nach Samarkand bringt. Über die Busfahrt gibt es wenig zu sagen, Zugfahren ist interessanter. Einzig ein kurzer Reparaturhalt wegen einem gerissenen Keilriemen und der ewig scheppernde und leicht nervtötende Uzbeky Pop aus dem Busradio sind erwähnenswert.

Am Nachmittag treffen wir ein, suchen uns ein Hotel und besichtigen die beiden grossen Sehenswürdigkeiten Samarkands. Der Registan, ein prachtvoller Platz mit drei gigantischen Medressen (Koranschulen), ist leider gesperrt. In zehn Tagen, am 1. September, feiert Usbekistan zehn Jahre Unabhängigkeit und die Vorbereitungen für das Fest laufen. Ein paar Fotos gibt’s trotzdem, ebenso von der Bibi-Chanum-Moschee, einem gigantischen Gebäude.

Zum Abendessen suchen wir uns eine Gartenbeiz beim Bazar und lassen uns auf Preisdiskussionen ein. In Usbekistan sind westliche Touris keine Seltenheit und man weiss, dass man diese abzocken kann. Wir zahlen definitiv zu viel für unser Essen.

Registan by night und das gigantische Portal von Bibi Chanum mit Thiller als
Referenzgrösse.

21August
2001

Fahrt nach Taschkent

Am Morgen schauen wir uns das Gur-Emir-Mausoleum an und können sogar die Gruft mit dem Grab Timurs, dem zentralasiatischen Schreckensherrscher des 14. Jahrhunderts, besichtigen. Anschliessend fahren wir zu Ulug Begs Observatorium, in welchem bereits im 15. Jahrhundert erstaunliche astronomische Berechnungen durchgeführt und Entdeckungen gemacht wurden. Teile eines riesigen Sextanten sind sogar noch vorhanden.

 
   

Versuche, beim Gur-Emir-Mausoleum Reiseführer-Fotos nachzumachen und ein heimliches Bild vom nicht minder beeindruckenden Inneren (oben) sowie die unterirdischen Teile von Ulug Begs Sextanten (unten rechts).

Um die Mittagszeit fährt unser Bus nach Taschkent. Weil die Strasse ein paar wenige Kilometer über Kasachstan führt, gibt es einige Kontrollen und Verzögerungen, und wir kommen um 17 Uhr in der usbekischen Hauptstadt an. Dort suchen wir erfolglos ein Hotel, das erste ist uns zu teuer, das zweite geschlossen. Beim zweiten stehen jedoch Frauen und bieten Privatzimmer an, wir fahren mit Rachat mit und quartieren uns bei ihrer Familie ein. Am Abend gehen wir in die Fussgängerzone, wechseln Geld auf dem Schwarzmarkt (der Kurs ist etwa zweieinhalb Mal besser als auf der Bank) und essen in einem georgischen Restaurant … ein Chatschapuri.

Ein Blick auf die hinteren Busreihen (links) und Dagobert Thiller mit umgerechnet hundert Franken in den grösstmöglichen usbekischen Noten. Wechselt man Geld auf dem Schwarzmarkt, bekommt man die Usbekischen Som (ohne Witz!) in Plastiksäcken.

22August
2001

Taschkent

Zum Frühstück tischt uns Rachat Trauben, trockenes Brot und eine Flasche Vodka auf. Anschliessend fahren wir zum Flughafen und erwischen ausnahmsweise einen Taxifahrer, der nicht aufs Geld aus ist. Mit ihm plaudern wir über den hiesigen Musikgeschmack und er schenkt uns eine Kassette mit Uzbeky Pop.


Klick auf das Bild für ein Beispiel eines Uzbeky Pop Songs. Mag erstmal ja ganz gut tönen, wenn es aber stundenlang gleich und ähnlich aus einem Bus- oder Taxilautsprecher scheppert, hat man's irgendwann mal gehört. Tipp: alternativ kann man auch den Ton ausschalten, die Bilder der aktuellen Neuaufnahme lohnen sich (den Song gabs schon 2001).

Wir buchen einen Flug für morgen in den Osten des Landes, wo wir die Oasenstadt Chiwa besichtigen wollen, von der alle nur so schwärmen. Taschkent hingegen hat aus unserer Sicht nicht sehr viel zu bieten, wobei wir nach Buchara und Samarkand natürlich recht verwöhnt sind. Daher latschen wir kreuz und quer durch die Grossstadt, mailen in einem Internetcafé mal wieder nach Hause, telefonieren mit dem Schweizer Konsulat wegen der aktuellen Lage im Ferganatal (mehr dazu später) und essen Pizza. In einer Metro-Station werden wir von der Polizei befragt und kontrolliert, dabei haben wir aber das Gefühl, dass sie weniger versteckte Bomben und Drogen suchen, sondern einfach nur wissen wollen, was westliche Touries so mit sich schleppen.

Am Abend bei Rachat und Familie gibt es noch eine Diskussion übers Geld, danach leeren wir die Vodkaflasche, die wir zum Frühstück verschmäht haben.

Rachat mit Familie und ein Blick in unser Zimmer, unter dem Lavabo wachsen sogar Pilze...

23August
2001

Chiwa Tag 1

Leicht verkatert fliegen wir am Morgen mit einer uralten Tupolew nach Urgench, wo wir als erstes den morgigen Rückflug bestätigen lassen wollen, der aber komplett ausgebucht ist. Etwas Bargeld lässt den Schalterbeamten noch einmal genauer hinschauen und er findet tatsächlich noch zwei Plätze für uns. Ein Taxi bringt uns dann die dreissig Kilometer nach Chiwa und schon nach dem ersten Blick auf die Wüstenstadt ist klar, dass sich der Abstecher gelohnt hat.

Nach dem Einchecken im Hotel machen wir erst einmal Siesta, es ist gerade die heisseste Tageszeit, danach machen wir uns auf den Stadtrundgang durch die UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt.

Panoramablick über Chiwa. Die Dichte an Sehenswürdigkeiten mit den vielen Minaretten, Medressen (Koranschulen), Moscheen, Harems, Mausoleen, Mauern, Toren und so weiter ist enorm, darum verzichte ich drauf, diese einzeln zu benennen und zeige einfach Bilder der beiden Tage. Wer mehr wissen will, schaut auf Wikipedia nach.

 


   

24August
2001

Chiwa Tag 2

Mit Ausnahme einer kurzen Siesta über die Mittagszeit bummeln wir den ganzen Tag durch die Strassen, besteigen das zweite grosse Minarett und schauen Handwerkern über die Schultern. Wir kaufen ein paar Souvenirs, ein usbekisches Chäppi und eine Messingdose für unseren Schnupftabak - und essen, ohne was Böses zu denken, ein Soft-Ice am Bazar. Vor ein paar Wochen hätte uns diese Grobfahrlässigkeit ein paar Tage auf dem Klo beschert, inzwischen stecken wir das ohne Nebenwirkungen weg.

Abendessen im Hotel, wo es das beste Plov bisher gibt, ein typisch orientalisches Reisgericht mit Fleisch, welches seit Aserbaidschan regelmässig auf unserem Menüplan steht. Anschliessend organisiert uns der Hotelmanager für fünf Dollar ein Taxi zum Flughafen, drei davon steckt er ein und zwei gibt er an den Taxifahrer weiter. Nun kennen wir den Tarif und wissen, dass wir für die Herfahrt sicher genug bezahlt haben.

Nach dem Einchecken wundern wir uns, warum auf der Bordkarte Fight Class steht. Tatsächlich herrscht im Flieger freie Platzwahl und wir müssen quasi um die Plätze kämpfen. Eine nagelneue Saab bringt uns zurück nach Taschkent und ein Taxi (mit anschliessender obligater Preisdiskussion) zu unserer Unterkunft, wo wir um Mitternacht eintreffen.

Die Seidenstrasse - ein beachtliches Stück davon haben wir hinter uns.

25August
2001

Qoʻqon (Kokand)

Beim Frühstückstee gibt’s mal wieder eine Gelddiskussion. Ob jetzt mit Rachat fürs Zimmer, mit Taxifahrern oder mit wem auch immer: das Mühsame ist, dass sie erst einen Preis für etwas akzeptieren und dann hinterher mit fadenscheinigen Argumenten versuchen, mehr rauszuholen. Der Taxifahrer-Klassiker: "Ich habe nicht gewusst, dass es so weit ist." Oder immer wieder der mit dem vielen Gepäck. Trotzdem einigen wir uns mit Rachat friedlich und bekommen sogar noch ein paar Meter usbekischen Nationalstoff Adras als Abschiedsgeschenk.

Auf dem Busbahnhof erfahren wir, dass wegen Baustellen momentan keine Busse Richtung Ferganatal fahren, darum chartern wir erneut ein Taxi. Fünf unspektakuläre Stunden später (inkl. endlosen Wartezeiten vor Baustellen) erreichen wir Kokand, diskutieren (oh Wunder!) über den Preis, wodurch sich der Taxifahrer einen Grossteil seines Trinkgeldes verspielt, und suchen ein Hotel.

26August
2001

Fergana

Wir werden versetzt. Unser Reisebegleiter, der mit uns eine Seidenmanufaktur besichtigen wollte, erscheint nicht. Daher fahren wir mit einem Sammeltaxi vorbei an unzähligen Baumwollfeldern weiter nach Fergana, wo wir unser Glück erneut versuchen wollen. Zu einer Reise entlang der Seidenstrasse gehört unserer Meinung nach etwas Wissen über das namensgebende Tuch.

Die knapp hundert Kilometer bringen wir zügig hinter uns, so dass wir bereits um die Mittagszeit in einem Hotel sind. Thiller macht Siesta und ich erkunde das Städtchen und rekognosziere fürs Abendessen.

Das Ferganatal ist ein Tal in der Grenzregion Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan. Die Grenzen scheinen willkürlich gezogen zu sein und die drei Länder winden sich regelrecht ineinander verschlungen durch dieses Tal, zudem gibt es unzählige Enklaven. Das hat seit der Unabhängigkeit vor rund zehn Jahren zu einigen gewalttätigen Konflikten zwischen den verschiedenen Ethnien geführt, insbesondere in der Region zwischen Fergana und der Grenzstadt Osh. Aus diesem Grund habe ich von Taschkent aus auch das Schweizerkonsulat angerufen und mich über die momentane Situation erkundigt. Zwar ist momentan alles ruhig, die Bevölkerung ist trotzdem etwas nervös, was folgender Vorfall beim Abendessen in einer Gartenbeiz zeigt: plötzlich gibt es einen Riesenknall und einige der Gäste werfen sich unter den Tisch, während andere ins Restaurant rennen. Thiller und ich schauen uns nur verwundert an und kurz drauf hören wir eine Polizeisirene. Später erfahren wir, dass es kein Bombenanschlag war, sondern nur ein Böller des morgigen Feuerwerkes frühzeitig explodiert ist.

27August
2001

Yodgorlik Silk Factory

Heute klappt’s. Unsere Reiseführerin Elena wartet mit einem Taxi inklusive Driver vor dem Hotel und wir fahren ins benachbarte Städtchen Margilan, wo wir uns in der Yodgorlik Silk Factory in die traditionelle Kunst der Seidenproduktion - vom Kokon über die Fäden bis zum fertigen Stoff und Teppich - einführen lassen. Mehrere Hundert Arbeiterinnen und Arbeiter arbeiten hier, hauptsächlich Frauen. Faszinierend ist vor allem, dass erst die Seidenfäden eingefärbt werden und daraus dann das gewünschte Muster entsteht. Wir erfahren auch, dass der Stoff Adras, den wir von Rachat bekommen haben, eine Mischung aus Baumwolle und Seide ist.

 
  

Kokons sortieren - waschen und Fäden ziehen - einfärben - weben oder Teppich knüpfen

Eigentlich möchten wir weiter Richtung Kirgistan, aber Lena überredet uns, noch einen Tag dranzuhängen. Es gebe in der Nähe einen sehenswerten See und am Abend finde in Fergana ein grosses Fest zum zehnjährigen Jubiläum der usbekischen Unabhängigkeit statt. Warum die schon heute feiern und nicht erst am Unabhängigkeitstag (1. September), bringen wir nicht in Erfahrung. Fest tönt aber gut und wir bleiben.

Der See, Elena und unser Fahrer mit den typischen usbekischen Chäppi

Am Abend stürzen wir uns frisch gebadet und nach Lavendel duftend ins Partygetümmel. Aber Pech gehabt, alles ist abgeriegelt und Ortsfremde haben aus Sicherheitsgründen keinen Zugang, diesmal lässt sich auch nicht verhandeln. Wir setzen uns mit Elena in ein Restaurant, leeren eine Flasche Wein und erfahren viel über Usbekistan und das Ferganatal.

 

28August
2001

Ош (Osh)

Elena lässt es sich nicht nehmen, uns bis zur Grenze zu begleiten, die wir nach zwei Polizeikontrollen, einem geschlossenen Zollamt und sechzig Kilometern Umweg dann auch erreichen. Für die Ausreise fehlt uns ein Deklarationsformular, dank unserem Verhandlungsgeschick lösen wir auch dieses Problem und wir stehen vor dem kirgisischen Zoll, einem kleinen, einfachen Wachhäuschen. Keine üblichen misstrauische Blicke oder Fragen, was wir eigentlich hier wollen, sondern eine simple Ansage, die uns für unseren letzten Reisemonat zuversichtlich stimmt: «Willkommen in

KIRGISTAN

Tourist-Visa Kirgistan

Trotzdem hat der Zöllner das Bedürfnis, in unserer Schmutzwäsche herumzuwühlen. Danach fangen uns zwei geschäftige Reisebürodamen ab, die wir - liegt es an ihrer charmanten Art? (Tagebucheintrag Thiller) - nicht einfach so abschütteln können und wir lassen sie unsere zweitägige Fahrt nach Bishkek organisieren. Wir handeln 80 Dollar aus und legen noch etwas drauf, dafür wollen wir das Taxi exklusiv für uns. Aus Erfahrung wissen wir, dass Autos jeweils vollgestopft werden, darauf haben wir für die Sechshundertkilometerfahrt aber wenig Bock.

Thiller mit den beiden Reisebürodamen und wir beide mit dem Gepäckhaufen, welchen wir insgesamt etwa 3500 Kilometer quer durch Zentralasien schleppen.

Anschliessend bummeln wir über den farbenfrohen Bazar. Wir schauen zu, wie aus einem Klumpen Teig nahezu endlos lange Nudeln gezogen werden, die als Basis für Laghman, Nudelsuppe mit Fleisch, dienen. Sieht nicht nur lecker aus, ist es auch.

Bazar von Osh

29August
2001

Hotel Schiguli

Wir haben wohl noch die Zeitverschiebung zwischen Usbekistan und Kirgistan in den Knochen (eine Stunde!) und werden erst um neun Uhr munter. Frühstück auf dem Bazar und schon treffen die beiden Mädels mit Marat, unserem Chauffeur, ein. Mit ihm und seinem Lada Schiguli fahren wir los Richtung Norden, vorbei an Melonenfeldern und einzigartigen Landschaften. Marat entpuppt sich als gemütlicher Geselle, er lässt uns unterwegs fotografieren und Melonen kaufen, aber leider spricht er nur russisch. Kurz nach dem Mittagessen-Stopp am Bazar von Dschalalabat (nicht verwechseln mit Dschalalabad in Afghanistan) ist es dann auch um unsere Abmachung bezüglich Exklusivrecht geschehen, er lädt zwei Frauen (Schwestern) und die dreijährige Cidiana auf. Es wird eng im Schiguli.

Sich an den Strassenrand zu stellen und darauf zu warten, dass man von einem nicht vollen Taxi, einem Sammeltaxi oder einem Privatauto gegen Entgelt mitgenommen wird, ist eine durchaus übliche und günstige Art der Fortbewegung und daher können wir uns auch nicht wirklich dagegen wehren. Auch wenn wir zwei oder drei Mal einen Kotzstopp für die Kleine einlegen müssen.

Um 19 Uhr erreichen wir bei herrlicher Abendstimmung den Toktogul Stausee auf knapp tausend Metern Höhe. Wir sind überzeugt, dass wir jetzt dann im gleichnamigen Städtchen eine Unterkunft ansteuern, aber leider durchqueren wir den Ort und kurven munter weiter. Nach zwei weiteren Stunden Fahrt steigt unser Bedürfnis, die eingeklemmten Knochen zu strecken und fragen mal ganz scheu, wie es wohl mit einem Hotel aussehe. «Hotel?», fragt Marat unverständlich nach. Wir nicken. «No Hotel», kommt zurück und er hängt gleich dran: «Hotel Schiguli». Er und die beiden Kirgisinnen prusten los vor Lachen, Thiller und ich finden die Idee, die Nacht in dieser Sardinendose zu verbringen, hingegen nicht mal halb so witzig. Wir können Marat aber überzeugen, uns etwas Bequemeres zu organisieren und so übernachten wir in einer gemütlichen Hütte an einem Bach am Ala-Bel Pass. Die Kosten übernehmen wir selbstverständlich für alle.

 
 

Melonenfelder (oben links) und einzigartige Landschaften am ersten Tag unserer Fahrt nach Bishkek. Am Abend entlang des Ufers des Toktogul Stausees (unten rechts).

30August
2001

Fahrt nach Bishkek

Unser Chauffeur bewegt sich erst gegen acht Uhr und als erstes organisiert er uns eine Portion Kumys, das kirgisische Nationalgetränk aus vergorener und dadurch leicht prickelnden und alkoholhaltigen Stutenmilch. Wer sich das geschmacklich vorstellen möchte, kann ein Bier mit Joghurt mischen und warmstellen, das dürfte ungefähr hinkommen. Unser allererstes Kumys bekommen wir also am frühen Morgen auf nüchternen Magen, was zuerst einmal leichten Brechreiz auslöst und in dem Moment können wir uns nicht vorstellen, dass wir diese Brühe schon bald freiwillig trinken werden.

Wir überqueren den Ala-Bel Pass und auf einem Hochplateau machen wir bei einer Jurte Frühstückshalt, wo es Brot, Nidle, Konfi, Chai (Tee) und natürlich Kumys gibt. Ja genau, so haben wir uns Kirgistan vorgestellt - und das zweite Kumys schmeckt tatsächlich schon besser…

Kirgistan

Für etwa eine Stunde nehmen wir noch einen weiteren Fahrgast mit (auf dem Beifahrersitz können schliesslich zwei sitzen), bis wir vor dem Scheiteltunnel des Töö-Passes auf knapp 3200 Metern rund eine Stunde auf die Durchfahrt warten müssen. Nach welchen Regeln wer wann und in welche Richtung durch das drei Kilometer lange Loch fahren darf, durchschauen wir nicht. Plötzlich gibt es ein riesiges Hupkonzert und die ganze Kolonne fährt los, wir schaffen es gerade noch, hinterher zu rennen und fliegend einzusteigen, ohne die ganze Kolonne aufzuhalten. Danach geht es nur noch runter bis Bishkek. Die kirgisische Hauptstadt erreichen wir gegen Abend, bevor wir in die Stadt einfahren, wird an einem Bach aber noch der Schiguli gewaschen. Etwa um 18:30 Uhr treffen wir bei Galina, Kurt und Olga ein, wo wir mit Spaghetti, Salat und einem guten Kaffee Schnaps verwöhnt werden.

Marat beim Waschen seines nicht sehr geräumigen Schiguli kurz vor Bishkek - aber immerhin hat uns der Wagen ohne Panne über das Gebirge gebracht, unterwegs standen zahlreiche Autos, die das nicht geschafft haben. Und rechts unsere drei Mitfahrerinnen, Cidiana ist am zweiten Tag zum Glück besser gelaunt, ebenso ihr Verdauungsapparat.

31August
2001

10 Jahre Bishkek

Nach dem gemütlichen Morgenessen mit Kurts Familie schleppen wir unser Gepäck in eine Wohnung in der Nachbarschaft, die uns Kurt organisiert hat und die wir für 20 Dollar am Tag mieten. Die Bewohner sind ausgezogen und wohnen in Zwischenzeit entweder in ihrer Datscha (Wochenendhäuschen) oder bei Nachbarn.

Anschliessend bummeln wir alle zusammen durch die feiernde Stadt. Während der Auflösung der Sowjetunion erklärte Kirgisistan heute vor genau zehn Jahren seine Unabhängigkeit als Kirgisische Republik und die Stadt erhielt wieder ihren kirgisischen Namen. Davor hiess sie Frunse, benannt nach einem General des russischen Bürgerkrieges.

Mein Magen mag heute nicht so recht und ich fühle mich schlapp, daher mache ich nach dem Pizzaessen Feierabend. Thiller stürzt sich hingegen noch ins Getümmel und hilft den Kirgisen beim Feiern. Am Morgen beschwert er sich dann, dass bereits um halb drei das Licht infolge Stromausfall ausgegangen und die Party daher abrupt vorbei gewesen sei.

Das Weisse Haus von Bishkek (links), Sitz der kirgisischen Regierung und das historische Museum mit der Lenin-Statue am Ala-Too-Platz, der bis vor zehn Jahren noch Leninplatz geheissen hat.