Berichte von 07/2001

01Juli
2001

Der Grenzübertritt

Wir brechen unser Zelt ab, verlassen den Camping und fahren über Thessaloniki, Kavala und Alexandroupolis Richtung Türkei. Vor der Grenze machen wir einen Bade- und Tankstopp und bei einem letzten, gebührenden griechischen Essen bestellt Thiller für sich ein Glas Retsina. Er bekommt eine ganze Karaffe, womit dann auch gleich geklärt ist, wer den Rest des Tages fährt.

An der Grenze stellen wir uns mit dem Auto in der Kolonne einfach hinten an und warten. Nach einer Dreiviertelstunde kommt eine Türkin, die vor uns in der Kolonne steht und erklärt uns in breitem Berndeutsch, dass wir zuerst die Zollformalitäten erledigen müssen, bevor wir zum Zöllner fahren. Wir sollen mit den Pässen und der grünen Versicherungskarte zum Schalter gehen. Ähm, grüne Versicherungskarte…!?

Während Thiller das Formelle erledigt, warte ich beim Auto und mache Bekanntschaft mit einem türkischen Lastwagenfahrer, der ein paar Worte deutsch spricht. Er wohnt am Schwarzen Meer und zeigt mir auf der Karte, wo wir am besten nach Georgien fahren. Er stehe hier schon seit zwei Tagen und warte darauf, dass er weiterfahren könne, aber das sei normal.

Nach drei (!) Stunden kommt Thiller endlich zurück. Das Problem war nicht die fehlende Versicherungskarte, sondern das normale Grenzübertrittsprozedere:
Formular mit Stempel beim Eingang.
Anstehen an Schalter 1, neues Formular mit Stempel.
Anstehen an Schalter 2, 1. Stempel in Pass.
Anstehen an der Kasse, bezahlen.
Wieder zu Schalter 1, zwei weitere Stempel in den Pass und noch mal bezahlen.

Wir steigen ins Auto, fahren zum Zöllner und halten ihm die Dokumente unter die Nase. Nix da mit weiterfahren: es fehlt noch ein Stempel! Und zwar derjenige der bestätigt, dass wir alle nötigen Stempel haben.

Nachdem das nun auch geschafft ist - mittlerweile ist es stockdunkel - fahren wir weiter bis Sultanköy, wo wir einen Einheimischen-Camping finden. Die Platzzuweisung gestaltet sich schwierig, da der Manager nicht da ist und die Gäste hier üblicherweise den ganzen Sommer verbringen. Trotzdem bekommen wir unseren Platz und später auch noch ein Feierabendbier.

Unser Zelt auf dem Camping in Sultanköy

02Juli
2001

Istanbul

Nach einem Gutenmorgenschwumm brechen wir das Zelt ab und fahren weiter Richtung Istanbul, wo wir das turkmenische Konsulat aufsuchen wollen, um ein Transitvisa für Turkmenistan zu bekommen. Ein kurzer Frühstücksstopp an einer Tankstelle und wir stürzen uns in den Verkehrsdschungel der Metropole. Da wir ursprünglich geplant hatten, einen grossen Bogen um diese Stadt zu machen, haben wir keine brauchbaren Karten dabei und irren zwei Stunden ziemlich orientierungslos kreuz und quer herum, bis uns ein Taxifahrer erklärt, wo wir sind. Ich staune über Thillers Coolness in diesem Verkehrschaos.

2001 sitzt das Navi noch auf dem Beifahrersitz und muss ab und zu nach dem Weg fragen.

Am frühen Nachmittag finden wir endlich ein Hotel und Thiller nimmt Kontakt mit dem turkmenischen Konsulat auf. Wir haben Pech, es hat nur am Vormittag offen! Dann machen wir halt Siesta, essen Kebab und besichtigen den Bezirk Sultanahmet.

Sightseeing in Istanbul und erster Blick auf die Bosporusbrücke (unten), der Verbindung zwischen Europa und Asien, die wir morgen überqueren werden.

03Juli
2001

Auf dem turkmenischen Konsulat

Wir stehen zeitig auf, frühstücken und fahren zum turkmenischen Konsulat. Entgegen den Empfehlungen des Hotelmanagers fahren wir selber hin und finden es fast auf anhieb.

Dort heisst es zuerst, wir müssten zehn Tage auf das Visa warten, obschon man uns vor ein paar Tagen telefonisch versprochen hatte, dass sich das in einem Tag machen liesse. Thiller telefoniert daraufhin mit der Botschaft in Ankara und tatsächlich kommt Bewegung in die Angelegenheit: Wir füllen Anträge aus, unsere Pässe werden kopiert und wir schreiben den wohl einschleimensten Brief unseres Lebens an den Generalkonsul mit einem Lobgesang auf Turkmenistan und Gründen, warum wir dieses wundervolle Land unbedingt durchreisen und kennenlernen wollen. Sollte Turkmenistan so etwas wie ein Staatsarchiv haben, so gehe ich schwer davon aus, dass dieser Brief dort archiviert ist. Aber es nützt: Kurz vor zwölf Uhr erklärt uns der Sekretär, dass wir das Visa sofort bekommen würden - jedoch nicht hier, sondern in Ankara.

400 Kilometer später, es ist schon später Nachmittag, treffen wir in Ankara ein. Hier das gleiche Spiel wie in Istanbul, mangels Karte fehlt uns die Orientierung und wir wenden uns diesmal an einen Polizisten. Er führe uns gerne hin, sein Kollege sei aber gerade beim Schuhe kaufen. Ob er uns in Zwischenzeit zu einem Tee einladen dürfe?

Überhaupt sind die Türken ein sehr gastfreundliches und vor allem interessiertes Volk. Sehr schnell ergeben sich interessante Gespräche und sobald wir eine Strassenkarte hervornehmen, müssen wir von unseren Plänen erzählen und bekommen gute Tipps für die besten Routen und was wir uns unbedingt ansehen müssen.

Natürlich ist die Botschaft kurz vor 18 Uhr schon zu, dafür wissen wir jetzt, wo sie ist und wann sie offen hat. Wir suchen uns ein Hotel, gehen in der Migros einkaufen und legen uns zeitig schlafen.

Türkischer Verkehrs-Alltag

04Juli
2001

Ankara

Punkt neun Uhr sind wir in der Botschaft, füllen zum x-ten Mal einen Antrag aus, bringen 2x41 Dollar zur Bank, lassen Passfotos machen und erfahren, dass wir die Pässe um 17 Uhr abholen können. Wir waren tatsächlich so naiv zu glauben, dass das schneller gehen würde! Wir wollen endlich weiter.

Aber so haben wir wenigstens Zeit, uns Ankara anzuschauen. Im Bezirk Ulus finden wir haufenweise Ruinen und kleine Gässchen, woraus wir schliessen, dass dies die Altstadt sein müsse. Genau um zwölf Uhr mittags - wir sind auf einer Anhöhe und überblicken die ganze Stadt - fängt es auf den zahlreichen Minaretten zu knacken und zu rauschen an und aus hunderten von Lautsprechern ruft der Muezzin zum Mittagsgebet, bevor sich sein Gebets-Singsang über die Stadt legt. Eindrücklich!

Kurz vor fünf Uhr holen wir endlich unsere Pässe mit den turkmenischen Transitvisa ab, bedanken uns, steigen ins Auto und…

Thillers erste Diagnose ist ein Defekt der Dieselpumpe. Nachdem die Reparaturversuche scheitern und der Motor noch immer keinen Wank macht, fährt Thiller mit einem Taxi in eine VW-Garage. Dort erfährt er nur, dass für heute Feierabend ist und wir morgen wieder vorbeikommen sollen.

Wohl oder übel lassen wir uns wieder zum Hotel bringen - eigentlich hätten wir ja noch so weit wie möglich Richtung Schwarzes Meer fahren wollen. Mit frischem Sesambrot, Hasliberger-Alpchäs und einem Schluck Roten beenden wir den Tag.

In und über den Gassen von Ankara

05Juli
2001

Das Ende einer Legende

Wir erscheinen früher als abgemacht in der Garage. Ibrahim, der deutschsprachige Neffe des Garagisten, ist noch nicht da und wir trinken erst mal eine Stunde Tee. Dann geht der Betriebsausflug los: ein Fahrer, zwei Mechaniker, der Chef, Ibrahim, Thiller und ich fahren mit einem Bus zu unserem Auto. Dort bekommen die Türken einen Lachanfall: obschon in Ankara viele ältere Autos in deutlich schlechterem Zustand unterwegs sind, machen sie sich über Thillers Eggitraktor lustig. Rost sind sie sich halt nicht gewöhnt.

Das Problem scheint ernst zu sein, das Auto muss in die Garage. Nach einer Stunde erscheint der Abschleppwagen, der uns zurück in die Garage bringt. Dort dann die niedererschmetternde Diagnose: Ventil verklemmt, Nockenwelle gebrochen und ein Lagerblock aus dem Gehäuse gerissen.

Bei einem Kebab diskutieren wir, was wir machen. Die Reparatur würde 2'000'000'000 Türkische Lira kosten und zwei bis drei Tage dauern. Wenn wir keinen Kommafehler machen, sind das rund 2'000 Franken, was uns doch als zu viel erscheint und wir entscheiden uns schweren Herzens, das Auto zurückzulassen. In den nächsten Wochen werden wir häufig darüber diskutieren, ob das die richtige Entscheidung war und was wir mit Auto anders erlebt hätten.

in memoriam

Wir geben unseren Entscheid Ibrahim bekannt und kurz drauf stürzen sich die Mechaniker wie Hyänen auf das Auto. Diesel wird abgesaugt und so ziemlich alles Mögliche wird ab- und ausgebaut: Räder, Batterie, Anlasser, Ventilator, Dieselpumpe, Armaturenbrett, etc.

Thiller telefoniert mit der Schweizer Botschaft, um abzuklären, wie wir weiter vorgehen müssen. Er hat ja einen Vermerk im Pass, dass wir mit Auto eingereist sind und ohne dieses können wir nicht einfach so ausreisen. Danach fährt er mit einem Hotelangestellten zum Zollamt, während ich ein Internetcafe suche, um Flüge nach Tiflis zu finden. Wir wollen endlich wieder Boden gut machen und so schnell wie möglich nach Georgien, darum ist der Landweg keine Option.

Thiller erfährt, dass wir das Auto zum Zollamt bringen müssen, was aber - oh Wunder - mal wieder erst am nächsten Tag möglich ist.

06Juli
2001

Das Labyrinth

Der Tag beginnt mit packen. Es ist gar nicht so einfach, einen Autoinhalt auf zwei Rucksäcke, eine Reisetasche, einen Kofferrucksack, zwei Tagesrucksäcke und eine Kühlbox zu verteilen. Vieles bleibt natürlich in der Türkei, unter anderem unsere frisch erstandenen Klappstühle. Um zehn Uhr sind wir wieder in der VW-Garage und bringen den Golf zum Schrottplatz der Zollverwaltung. Hier werden wir fast den ganzen Tag verbringen...

Während ich auf das Gepäck aufpasse, geht für Thiller und Ibrahim der Marathon los. Das Verwaltungsgebäude erinnert an eine riesige, vierstöckige Kaserne mit endlosen Gängen, in denen sich rechts und links ein Büro an das andere reiht. Sie gehen von Büro zu Büro, füllen ein Formular nach dem anderen aus und sammeln unzählige Stempel - es scheint unmöglich, dass jemand so viel Fantasie aufbringen kann, ein derart kompliziertes Prozedere zu erfinden.

Schlussendlich - mittlerweile ist es drei Uhr am Nachmittag - fehlt nur noch der eine Stempel der besagt, dass das Auto in Ordnung ist. Aber genau das ist es eben nicht, weil sie es in der Garage ja komplett ausgeschlachtet haben. Für umgerechnet 100 Franken würde uns der Beamte diesen Stempel geben; mutmasslich ohne Quittung und als Entschädigung dafür, weil er jetzt kein Autoradio, keine Batterie und keine Felgen verkaufen kann. Viel zu viel finden wir und wollen verhandeln, ernten aber nur ein fieses Grinsen mit Schulterzucken. Es ist Freitag-Nachmittag, bald hat er Feierabend und wenn wir wollen, können wir gerne am Montag wieder kommen. Selbstverständlich können wir dann auch die Originalteile mitbringen, dann entfällt die «Gebühr».

Einige Millionen Lire wechseln den Besitzer, wir bekommen unseren Stempel und dürfen ausreisen, was wir dann auch gleich organisieren. Noch im Taxi zum Flughafen organisiert Thiller einen Flug via Istanbul nach Tiflis. Am Flughafen dann ein ziemliches Gehetze, weil der Flug gleich startet, dafür hat auch niemand Zeit unser Gepäck zu wiegen und wir müssen für unsere rund 100 Kilo Gepäck keinen Aufpreis bezahlen. Dass wir Thillers Autonummer im Taxi liegengelassen haben, merken wir erst später.

In Istanbul versuchen wir erfolglos, unsere Gastgeber in Tiflis zu erreichen, verpassen fast den Anschlussflug, weil dieser früher startet als geplant, und fliegen dann im Halbschlaf über das Schwarze Meer Richtung…

GEORGIEN

Nachdem die Einreiseformalitäten erledigt sind - im Vergleich zur Türkei geht das extrem schnell - spricht uns ein Polizist an und fragt, ob wir ein Hotel suchen. Er setzt sich mit uns in ein Taxi und wir lassen uns in die Stadt fahren. Beim Hotel geht er voraus, um zu klären, ob sie ein Zimmer für uns haben und vermutlich auch um seine Provision auszuhandeln. Auf die Frage, wieviel denn das Taxi koste meint er: «Ach meine Freunde, gebt mir einfach 100 Dollar, das ist schon okay!» Wir meinen, 20 wären mehr als genug und einigen uns auf 50, was natürlich noch immer viel zu viel ist. Aber es ist fünf Uhr in der Früh und wir wollen nur noch ins Bett, alles andere ist uns egal!

Unser Visa für Georgien

07Juli
2001

თბილისი (Tbilissi/Tiflis)

Gegen Mittag werden wir langsam munter und telefonieren mit Monika und Markus, um sie endlich über unser Eintreffen zu informieren. Nach einem ausgiebigen Frühstück werden wir von ihnen abgeholt und ein Taxi bringt uns mit unserem Gepäckberg zu ihrem Haus in der Betlemi Street, inmitten der Altstadt. Das Haus ist riesig und hier nisten wir uns für die nächsten Wochen ein.

Nach der Tour de Maison fahren wir auf den Hausberg, von dem aus man einen herrlichen Überblick über die Stadt hat. Früher gab es hier eine Standseilbahn rauf, diese ist aber vor einigen Jahren mit einem Rudel Japanern an Bord unterwegs umgekippt und liegt noch immer dort - ein repräsentatives Beispiel für den Zustand der georgischen Infrastruktur.

Am Abend gehen wir in ein Restaurant essen. Wir futtern uns einmal quer durch die georgische Küche und sind begeistert. Kulinarisch kommt das auf jeden Fall schon mal gut.

Tiflis mit seinen charakteristischen Häusern am Steilufer des Mtkwari und den ebenso unverkennbaren Kirchen

08Juli
2001

Thillers neuer Freund

Am späten Vormittag gehe ich mit Markus zur Bäckerei, um Brot zu kaufen und mich in der georgischen Brotbackkunst unterweisen zu lassen. Der Backofen ist ein grosser schamottierter Tonkrug mit einem Feuer drin. Die Teigfladen werden an die Innenwand geklatscht, sie sind nach zehn bis zwölf Minuten fertig und werden dann mit einer langen Stange abgelöst und herausgenommen. Das Brot schmeckt einmalig gut!

Georgischer Backofen

Nach einem mehr als ausgiebigen Brunch fahren wir vier einige Kilometer Richtung Norden zu einem Badesee, wo die Georgier nicht nur sich selbst, sondern am gleichen Strand auch gleich ihre Autos waschen. Nikolai, ein älterer Georgier, setzt sich zu uns und lädt uns auf einen Wodka ein. Für ihn ist es jedenfalls nicht der erste.

Unsere heutige Lektion: Ein Wodka ist nicht ein Glas, sondern eine Flasche. Wir trinken mit Nikolai auf die schweizerische-georgische Freundschaft, auf seine Familie, auf unsere Familie, auf Gott, wieder auf die Freundschaft, auf Georgien und so weiter. Und jedes Mal ein Glas ex! Thiller hat das Glück, direkt neben ihm zu sitzen und bekommt jedesmal eine Umarmung und Küsse ab. Dann trinken sie auf Bruderschaft. Doch ausgerechnet dieses Glas hätte Thiller nicht ex runterkippen dürfen - aber Nikolai vergibt seinem neuen Freund Michail.

Wir riskieren, Nikolai zu beleidigen und wollen ihm etwas für den Wodka bezahlen. Seine Schwiegertochter versucht mit einem kleinen Kiosk am See ihre ganze Sippe zu ernähren und er säuft ihr den ganzen Alkoholvorrat weg. Ein paar Lari können also nicht schaden. Diese verweigert er natürlich zuerst, flucht, trampelt drauf herum, spielt den beleidigten, steckt sie dann aber doch ein und trottet davon.

Am Abend fahren wir wieder in ein Restaurant und werden in die Kunst des Chingali-Essens eingeführt.

09Juli
2001

Stadtbummel

Den heutigen Tag gehen wir gemütlich an. Nach einem Besuch auf der Schweizer Botschaft wegen den liegengelassenen Autonummern und unseren Visa für Aserbaidschan, bummeln wir mit Monika erst durch Tiflis, dann durch den Bazar. Dieser ist riesig und farbenfroh, die Produktpalette hält sich allerdings in Grenzen: Tomaten, Gurken, Auberginen, Kartoffeln, Zwiebeln, Tomaten, Gurken, Auberginen, …

Tomaten, Gurken, Auberginen, Kartoffeln, Zwiebeln,...

Weniger farbenfroh präsentiert sich hingegen die Fleischabteilung: die Fleischstücke liegen in der warmen Halle auf schmuddeligen Zeitungsstücken, zum Beispiel Kalbshirne an einem Innereienstand! Monika sagt, dass sie Fleisch vorzugsweise in einem europäischen Supermarkt kaufe, was ich voll verstehe.

Mit einem Schieber und einem guten Cheli beenden wir den Tag.

Links das Hotel Iveria, einst ein Luxushotel, jetzt Unterkunft für 800 Flüchtlinge des Georgisch-Abchasischen Krieges 1992/93. In der Mitte die riesige Statue "Mutter Georgiens", sie hält eine Schale Wein für Freunde in der einen und ein Schwert gegen Feinde in der anderen Hand. Und daneben eine von unzähligen Kirchen.


Oben links Blick über die Altstadt Richtung Festung Nariqala und die Statue, daneben eine von unzähligen Kirchen. Unten links ein Beispiel sowjetischer Architektur mit dem Regierungsgebäude an der Rustaveli-Avenue und daneben "Andropows Ohren" - welchen Zweck das Gebäude auch immer hat.

10Juli
2001

Tollwut

Heute erkunden wir die nähere Umgebung, also die Altstadt. Die heruntergekommen Häuser haben einen speziellen Baustil mit mediterranem Flair und vielerorts wachsen Reben. Schade, dass alles in einem so schlechten Zustand ist, vor Jahrzehnten muss das ein sehr schönes Viertel gewesen sein. Aber nicht nur die Häuser, auch die gesamte Infrastruktur ist in einem desolaten Zustand: Strassen sind voll Löcher, Stromleitung hängen herunter, Beleuchtung funktioniert selten und auf Schachtdeckel steht man auf eigenes Risiko.

Auf einem stark abfallenden Kiesweg rutsche ich leicht aus, was ein schlafender Hund am Wegrand als Bedrohung sieht und mich in die Wade beisst. Der Besitzer entschuldigt sich und wäscht mir mit Seife die Wunde aus. Auf die komische orange Flüssigkeit, die Desinfektionsmittel sein soll, verzichte ich dankend.

Wir gehen zurück, Monika unterbricht ihre Russischlektion und bringt mich zum Georgia Frontline Medical Service, wo ein Arzt die Wunde noch einmal reinigt und mir eine Tollwutspritze gibt. Da ich mich vor der Reise bereits habe impfen lassen, werden zwei Spritzen reichen, ansonsten wäre es eine Rosskur geworden. Alternativ hätte auch das Hirn des Hundes seziert und auf Tollwut untersucht werden können.

Zum Abendessen haben unsere Gastgeber Claude eingeladen, einen Mitarbeiter der Schweizer Botschaft, der vor einigen Monaten mit dem Auto eine Reise entlang der Seidenstrasse nach Almaty (Kasachstan) gemacht hat, also mehr oder weniger den Weg, den wir noch vor uns haben. Er schwärmt davon, was unsere Vorfreude auf die nächsten Wochen steigert und gibt uns viele wertvolle Tipps. Dass wir das Auto nicht haben reparieren lassen, ist aus seiner Sicht ein grosser Fehler gewesen.

Dann fahren wir zum Tbilisi Jazz Festival, gemäss Speaker nach Montreux die zweitwichtigste Veranstaltung dieser Art. Zu Kazbegi-Bier (im Preis inbegriffen) essen wir … Früchte.


11Juli
2001

Das heftige Rumpeln

Ein heftiges Rumpeln im Gedärm weckt mich und ich renne notfallmässig aufs Klo. Ich mache mir gerade Gedanken darüber, ob das etwas mit der Impfung zu tun haben könnte, da klopft es an der Türe: Thiller hat das gleiche Leiden, aber zum Glück hat das Haus ja mehrere WC’s.

Den Rest des Tages verbringen wir mit Liegen, Lesen, Tee trinken und längeren Sitzungen. Monika ist überzeugt, dass die Früchte gestern Abend schuld an unserem momentanen Gesundheitszustand sind, respektive das Wasser, mit denen sie gewaschen worden sind. Sie hat in weiser Voraussicht keine Früchte gegessen und ihr geht es blendend.

Am Abend quälen wir uns noch mal zum Jazz Festival, wobei wir heute auf Früchte und Gratisbier verzichten!

12Juli
2001

Chatschapuri

So langsam aber sicher scheint sich unser Verdauungsapparat zu erholen. Zwar sind wir noch etwas wacklig auf den Beinen, trotzdem wagen wir uns aus dem Haus und besuchen den Bildermarkt. Wir staunen über die georgische Malerei und die Preispolitik: je länger wir uns über ein Bild unterhalten und über den Preis diskutieren, desto teurer wird das Bild.

Danach machen wir den ultimativen Verdauungstest und essen in einem gemütlichen Restaurant Chatschapuri, das sind beidseitig gebackene Käsefladen und aus unserer Sicht das Highlight der georgischen Küche. Wir bestehen den Test.

Zeitig gehen wir zurück in die Wohnung, um uns von den Strapazen des Tages zu erholen.

13Juli
2001

Chingali

Am Morgen lasse ich mir die zweite Tollwutspritze geben und bin nun immun gegen tollwütige Hunde. Danach fahren wir zum «Baumarkt», ein Flohmarkt auf einem riesigen Gelände, wo alles verkauft wird, was irgendetwas mit Bauen, Auto, Elektro, etc. zu tun hat. Die meiste Zeit verbringen wir damit, einen Stecker für der Zigarettenanzünder zu suchen, damit Markus und Monika unsere mitgeschleppte Auto-Kühlbox weiterverwenden können. Wenn’s doch der Eggitraktor wenigstens bis hierher geschafft hätte, hier liessen sich die Einzelteile ehrenvoller verscherbeln…

20 Jahre später (2021) postet jeder über Social Media ein Foto seines Impfpasseintrages der Covid19-Impfung. Ich poste lieber das meiner georgischen Tollwutimpfung, die hat den grösseren Seltenheitswert...

Nach einem Coiffeurbesuch gehen wir am Abend frisch gestylt Chingali essen. Das sind mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen, also so eine Art Ravioli, die man von Hand isst und sich dabei die Finger verbrennen muss. Die Spitze, wo der Teig zusammengedrückt ist, isst man dabei nicht, sondern legt sie auf den Tellerrand und kann am Schluss zählen, wie viele man gegessen hat. Chingali belegen Rang 2 in unserem Ranking der georgischen Küche und wir beschliessen, dass wir die Kunst der Herstellung lernen müssen.

Während des Essens schmieden wir Pläne für die nächsten Tage, wir wollen ans Schwarze Meer und dann ein erstes Mal Richtung Norden in den Kaukasus.

14Juli
2001

Fahrt ans Schwarze Meer

Nach einer Woche Untätigkeit ist es an der Zeit, dass wir wieder etwas unternehmen. Um neun Uhr startet Monika den Pajero Richtung Westen, wir wollen endlich ans Schwarze Meer. Für die Georgier muss es komisch aussehen: eine Frau am Steuer und zwei Männer als Beifahrer. Aber aus versicherungstechnischen Gründen geht das nicht anders.

Von Monika erfahren wir unterwegs viel über Georgien. Schliesslich leben sie und Markus nun schon fast drei Jahre hier, sprechen gut Russisch und auch etwas Georgisch (das sogar ein eigenes Alphabet hat) und kennen Land und Leute. Was sie uns aber auch nicht erklären kann ist, warum in einem Ort auf rund hundert Meter Länge ein Backofen neben dem anderen steht und frisch gebackenes Brot verkauft wird, im nächsten ausschliesslich Chatschapuri, im dritten Hängematten, im vierten Töpferwaren und im fünften Mineralwasser. Das fehlende marktwirtschaftliche Denken scheint eine breitere Produktpalette je Dorf zu verhindern.

O-Ton Monika: «Das georgische Alphabet ist ganz einfach, man schreibt alles so wie man es sagt.» Klar, sieht man ja auf dem Ortsschild im linken Bild. Rechts: Brotbacken geht auch in alten Ölfässern.

Unsere Aufmerksamkeit erregen auch zahlreiche gigantische Industrieruinen aus der Sowjetzeit, welche die Gegend verwüsten und sicher auch ökologischen Schaden anrichten. Für den georgischen Markt sind diese Anlagen x-fach überdimensioniert und waren bestimmt schon vor der Unabhängigkeit vor knapp zehn Jahren veraltet. Jetzt rosten sie friedlich vor sich hin.

Sowjetische Erbstücke

Ein Toilettenhalt kurz nach dem Scheiteltunnel, der die Wasserscheide vom Kaspischen zum Schwarzen Meer markiert, entwickelt sich zu einer kleinen Fressorgie mit Chatschapuri und Schaschlik (Spiesschen). Essen ist wirklich eines der zentralen Themen unseres Georgienaufenthaltes und wenn wir so weitermachen, werden wir noch zum typischen Georgier, der so um die 120 kg auf die Waage bringen dürfte.

In Kobuleti, dem Ferienort am Schwarzen Meer, suchen wir eine Bleibe, was gar nicht so einfach ist. Wir finden eine einzige angeschriebene Pension, die uns aber nicht passt. Durch fragen entdecken wir ein nagelneues Hotel direkt am Meer, wo wir eine ganze Etage für uns alleine haben. Warum das Hotel nicht angeschrieben und keine Wegweiser hinführen, finden wir später heraus: Unternehmen werden vom Staat so stark geschröpft, dass die meisten Geschäfte schwarz über die Bühne gehen. Zudem gibt es zahlreiche mafiaähnliche Organisationen, die irgendwie mitnaschen wollen (Schutzgelder, etc.). Das Hotel ist als Privathaus deklariert, die Gäste finden durch Mund-zu-Mund-Propaganda hin.

Unser Hotel und der kitschige Sonnenuntergang, mutmasslich namensgebend für das Schwarze Meer

Den Rest des Tages verbringen wir am Strand - endlich sind wir am Schwarzen Meer! Eigentlich hätten wir das vor fast zehn Tagen nach unserem Ankara-Abstecher schon auf der türkischen Seite erreichen sollen, aber eben…

Nach einem kitschig/schönen Sonnenuntergang genehmigen wir uns ein kleines Nachtessen und ein paar Bier in einer Strandbar mit Live-Musik. Soso, der etwa 25jähriger Sohn der Wirtefamilie, begleitet uns und wir laden ihn zu einem Bier ein. Wir machen Prost und trinken einen Schluck. Soso schaut uns fragend an und wendet sich an Monika. «Auf was wir den anstossen?», übersetzt sie uns. Natürlich, einfach so Gaumardschoss und dann einen Schluck nehmen, geht natürlich nicht! Es muss auf etwas getrunken werden. Monika empfiehlt uns, auf die Freundschaft zu trinken, das mache sich immer gut!

15Juli
2001

Batumi

Nach einem improvisierten Frühstück gehen wir schwimmen und lassen uns am Strand grillen. Es ist unglaublich heiss, sogar die einheimischen verziehen sich über die Mittagszeit in den Schatten. Nach dem Mittag fahren wir nach Batumi, einer kleinen Hafenstadt an der türkischen Grenze. Die Gegend ist extrem fruchtbar, unglaublich, was alles wächst und blüht. Endlos grosse, verwilderte Teeplantagen erinnern wieder an die Sowjetzeit. Nur ein kleiner Teil wird heute noch genutzt, respektive geerntet - wachsen tut’s ja von selbst.

Der Bezirk Adscharien hat einen speziellen Status. An der Bezirksgrenze gibt es so etwas wie eine Zollkontrolle, die wir dank Monikas Diplomatenausweis problemlos passieren. Überhaupt ist das Diplomaten-Zeichen am Auto ganz schön praktisch: wenn Polizisten uns von der Strasse winken wollen, winken wir freundlich zurück und fahren weiter. Wären wir mit dem eigenen Auto durch Georgien gefahren, hätte uns das eine ordentliche Stange Geld gekostet, denn die reichen Touristen lassen sich ja gut abzocken und Gründe, den mageren Polizistenlohn aufzubessern, lassen sich immer finden.

Im Gegensatz zu Tiflis macht Batumi einen sehr intakten Eindruck: die Strassen sind besser, alles ist sauberer, der Hafen funktioniert - man merkt, dass die Zolleinnahmen den Weg in die Hauptstadt nicht finden und vor Ort investiert werden.

Nach einem Chatschapuri (kann man täglich mehrmals essen!) in einem Hafenrestaurant fahren wir wieder zurück. Thiller spielt noch ein paar Runden Backgammon gegen Soso (Kurzform für Joseph) und Hotelangestellte.

16Juli
2001

Kutaissi

Ich stehe früh auf und gehe schwimmen. Um Mittag rum, Thiller und ich sitzen noch immer beim Frühstück, trifft Monika mit Christa und Martin ein, die sie am Hafen in Poti abgeholt hat. Die beiden sind über Bulgarien ans Schwarze Meer und dann mit der Fähre nach Poti gefahren. Sie haben mehr Glück gehabt als wir und bringen ihren Opel-Kombi mit.

Um eins beginnen wir einen Volleymatch, was von den Georgiern erst mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen wird, sie helfen dann aber doch mit, immerhin haben sie zuvor den Platz mit viel Aufwand hergerichtet. Zwischen den Sätzen kühlen wir uns im Wasser ab.

Danach fahren wir parallel zum kleinen Kaukasus auf einer wenig befahrenen Strasse Richtung Kutaisi, der grössten Stadt zwischen Tiflis und dem Schwarzen Meer. Bei unserem Wirten Zelimchan treffen wir auf Markus, morgen wollen wir zu sechst für ein paar Tage in den Kaukasus.

Das Nachtessen ist mal wieder der Hammer, ein typisch georgisches Gelage quer durch die Küche mit (viel zu) viel Hauswein. Dafür mache ich die ganze Nacht praktisch kein Auge zu, es ist einfach viel zu heiss und die Säure des Weines will zu sämtlichen Poren wieder heraus. Am morgen fühle ich mich wie frisch in Essig gebadet.

17Juli
2001

Ins Sanatorium eingeliefert

Nach einem kräftigen Frühstück geht’s mit zwei Autos los Richtung Kaukasus. Irgendwo verpassen wir eine Abzweigung, die Strasse wird mit jedem Meter schlechter und erinnert irgendwann an ein ausgetrocknetes Bachbett. Ordentlich durchgeschüttelt und mit einem Haufen Schrammen im Unterboden von Martins Kadett kommen wir in Tqibuli an, wo wir erwartet werden.

Als erstes gehen wir - was sonst?! - essen! Danach lassen wir uns nach Şovi in ein ehemaliges sowjetisches Sanatorium bringen, wo wir uns in einer Baracke einquartieren.


Das Sanatorium von Şovi, wo wir in der Baracke oben rechts Zimmer mit Etagen-Toilette haben.

Das Sanatorium hat zu seiner besten Zeit 5000 Plätze gehabt, heute ist es ziemlich heruntergekommen und nur noch wenige Zimmer sind brauchbar. Viel später erfahren wir dann mal, dass in unserer Heimat das Gerücht die Runde gemacht habe, es müsse uns schlecht gehen, weil wir in ein Sanatorium eingeliefert worden seien. Sanatorien dienten in der Sowjetunion aber nicht nur zur Reha sondern auch dazu, fleissige Genossinnen und Genossen, oder solche mit entsprechenden Beziehungen, mit Urlaub zu belohnen.

Gia, ein lokaler Tourenführer, meint, wir müssten am nächsten Tag unbedingt eine kleine Wanderung unternehmen, um die Gegend anzuschauen. Er würde uns gerne führen, es koste nur 50 Dollar pro Person! Wir einigen uns auf 20. Danach lassen wir uns in der Kantine von einem kleinen, lustigen Koch mit Goldzähnen das Nachtessen servieren.

18Juli
2001

Udziro Lake

Um sieben Uhr ist Tagwache und kurze Zeit später sitzen wir vor einem scharfen Buchweizengulasch, welches zwar schmeckt, zwölf Stunden später aber sicher besser angekommen wäre.

Zu siebt quetschen wir uns in einen Lada Niva und fahren ins Dorf, wo Gia mit seinem Gehilfen Schalwa, einer Flinte und zwei Pferden wartet. Dann geht’s zu Fuss in ordentlichem Tempo steil bergauf. Nach einer Stunde teilen wir uns das bisschen Wasser, das wir mitgenommen haben und schon bald wird klar, dass aus der kleinen Wanderung eine richtige Bergtour wird. Thiller und ich weigern uns trotzdem, unsere Rucksäcke den Pferden anzuhängen und sehen das als Training, schliesslich haben wir noch grösseres vor.

Über saftige Wiesen geht es ungefähr drei Stunden weiter bis in einen kleinen Sattel. Die Gegend erinnert uns an unsere Heimat, es sieht ähnlich aus wie im Rosenlaui. Nach einer weiteren Stunde erreichen wir unser Ziel, einen mystisch blauen Gletschersee, aus dem zu trinken für irgendetwas gut sein soll. Dass wir am Udziro Lake sind, finde ich erst 20 Jahre später googleseidank heraus. Thiller und ich besteigen noch einen naheliegenden namenlosen Dreitausender, bevor uns ein drohendes Gewitter zum Abstieg zwingt.

Weiter unten treffen wir auf die anderen. Nach dem Gewitter gibt es gibt eine kleine Stärkung und Thiller macht noch einen kurzen Ausritt, bevor wir wieder absteigen. Am Abend jassen wir noch eine Weile und scheinbar bin ich dermassen schlecht, dass Thiller in unserem Reisetagebuch vermerkt, ich hätte ihm einen sicheren Slalommatch mit vier Bauern vermiest.

Links: Blick vom See zum Gipfel, wo man Thiller und mich erahnen kann und rechts: Blick vom Gipfel runter zum See mit dem Rest der Wandergruppe.

19Juli
2001

Picknick am Mamisoni-Pass

Wir chartern einen alten UAZ aus ehemaligen Sowjetbeständen inklusive Fahrer (Gilo) und fahren Richtung Mamisoni-Pass, welcher die Grenze zwischen Georgien und Russland markiert. Gia begleitet uns wiederum als Führer.

Nach einer Stunde Fahrt und zwanzig Minuten Marsch erreichen wir eine schöne Alp, wo wir es uns an einem Bach gemütlich machen. Zum Picknick gibt’s Hauswein und Tschatscha (Grappa), begleitet von zahlreichen Trinksprüchen. Dem Fahrer jedenfalls scheint der Selbstgebrannte zu schmecken, merkt unsere besorgten Blicke und beruhigt uns: er habe acht Jahre unfallfrei als Fahrer gearbeitet und dabei zum Frühstück jeweils 300 Gramm Vodka getrunken…

Zurück im Camp organisieren wir ein Länderspiel Georgien-Schweiz, welches wir dank der Verstärkung 10:7 gewinnen. Da das unser letzter Abend in Şovi ist, wird zum z’Nacht noch einmal ordentlich aufgetischt, dazu gibt’s viel Wein und noch mehr Trinksprüche. Gia ist der Tamada, also quasi der Tischmeister, der die Trinksprüche ausbringt und dabei einem mehr oder weniger festen Ablauf folgt. Man trinkt so ziemlich auf alles und jeden - und vor allem viel.

Unsere Gruppe auf dem UAZ und beim Abschlussgelage

20Juli
2001

Nikortsminda

Ein paar Fotos knipsen, Mineralwasser abfüllen und dann machen wir uns auf den Weg. Über Nikorsminda fahren wir zurück nach Kutaisi zu Zelimchan, wo am Abend das übliche Gelage auf uns wartet.

Unterwegs entdecke ich eine kleine Sägerei, die wir uns anschauen und essen etwas später das angeblich beste Schaschlik überhaupt. Es stellt sich heraus, dass es aus Innereien besteht, was nicht alle gleichermassen begeistert. Während das für andere ein Festessen ist, habe ich gerade nicht so viel Hunger und begnüge mich mit den Beilagen.

Nikortsminda ist ein kleiner Ort mit einem grossen Dom. Monika freundet sich mit einem sympathischen Prieser an, der uns zu einer ausführlichen Kirchenführung einlädt. An diesem Standort soll es schon seit fast tausend Jahren eine Kirche geben, die jetzige sei bekannt für seine Malereien und Fresken.

21Juli
2001

Engel auf Erden

Zu sechst quetschen wir uns in den Pajero, (Thiller im Kofferraum) und fahren zum Kloster Gelati, welches 2006 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wird. Nach einem kurzen Briefing durch Monika stöbern wir über das Gelände.

Einzelne Gebäude der Klosteranlage von Gelati. Oder ist es doch die Kirche von gestern? Für mich als Kulturbanause sehen die alle gleich aus...

Die folgenden Zeilen schreibe ich von Thillers Tagebucheintrag ab: Durch die offene Türe dringen Stimmen, angelockt schreite ich in den Kirchensaal, wo eine Handvoll Leute verstreut herumsteht. Plötzlich erschallt ein angenehm harmonischer Gesang, der sich mit einer Bassstimme sprechend abwechselt. Der Vorhang vor dem Altar öffnet sich und im gleissenden Sonnenstrahl steht der Priester. Der Chor besteht aus drei bildhübschen Frauen mit einem Mann als Begleitung. Noch nie ist mir eine Messe akustisch und optisch so unter die Haut eingefahren.

Wir überzeugen Thiller, doch nicht ins Kloster einzutreten und machen uns auf den Weg zurück nach Tiflis. Unterwegs besichtigen wir eine weitere Kirche sowie das Geburtshaus von Stalin mit Museum in Gori, zudem fahren wir an ein paar ausgebrannten Schützenpanzern aus dem Abchasienkrieg (1992-1993) vorbei. Ein kontrastreiches Programm heute.

Die ausgebrannten Schützenpanzer im linken Bild. Wir trauen uns nicht näher heran, nicht auszuschliessen dass noch ein paar Minen vergraben sind. Rechts Stalins persönlicher Eisenbahnwagen, der gegen Attentate gepanzert ist und über 80 Tonnen wiegen soll.

22Juli
2001

Tbilisi-Lake

Nach einem kurzen Einkaufsbummel fahren wir alle zum Tbilisi-Lake, einem künstlichen See im Norden von Tiflis, der als Wasserspeicher dient. Sauberes Wasser mit einzigartigem Farbkontrast; wir wundern uns, dass dieser nicht grad kleine See in keinem unserer Reiseführer erwähnt ist.

Zuvorderst auf einer Halbinsel machen wir uns breit, baden, bräteln Speck und deutsche Cervelats aus dem Glas, essen Melone und trinken Bier und Weisswein.

23Juli
2001

organisatorisches

Erst besuchen wir die Festung Nariqala und die Statue über der Altstadt, dann holen wir auf der Schweizer Botschaft unsere Pässe mit den Visa für Aserbaidschan und bedanken uns dafür mit ein paar Tafeln Schweizerschoggi. Ein Taxi bringt uns dann zum Büro des WWF, über den wir einen Trip nach Kachetien, den östlichsten Bezirk Georgiens, organisieren lassen wollen. Ursprünglich wollten sie in der Region etwas aufbauen, dann kam ihnen jedoch der Tschetschenienkrieg dazwischen.

Am Abend gehen wir mit Claude in Mzcheta essen. Mzcheta liegt ein paar Kilometer nördlich von Tiflis und war die damalige Hauptstadt des iberischen Reiches, einem Vorgängerstaat Georgiens. Bei einem Schaschlick in einem gemütlichen Gasthaus am Mtkwari erfahren nochmals einiges über seinen Trip nach Kirgistan vom letzten Juni.

24Juli
2001

Dawit Gareja

Monika nimmt sich erneut einen Tag Zeit für uns und zu dritt fahren wir nach Dawit Gareja, einem Höhlenkloster direkt an der Grenze zu Aserbaidschan.

Was, schon wieder eine Kirche!?

Halb so wild, bei dieser Anlage handelt es sich um ein einzigartiges, grossteils in Felsen gehauenes Felsenkloster in einer einmalig schönen wüsten/steppen-ähnlichen Landschaft. Nur ein ganz kleiner Teil davon ist wieder bewohnt, in seiner Blütezeit sollen bis zu 5000 Mönche hier gelebt haben. In einer gemütlichen, dreieinhalbstündigen Rundwanderung besuchen wir unzählige Ruinen mit uralten Malereien und Fresken. Leider haben die Sowjets diesen Felskamm als Zielhang für ihre Luftwaffe genutzt, wodurch vieles zerstört worden ist, trotzdem lässt sich das Ausmass dieser Anlage ungefähr erahnen.

In einem Reiseführer habe ich gelesen, dass es hier nur so von giftigen Schlangen wimmeln soll, daher bin ich trotz Temperaturen an der Vierzig-Grad-Grenze mit dicken Jeans und meinen schweren Scarpa unterwegs. Thiller hat das weniger beeindruckt und latscht in leichten Schuhen und noch leichteren Hosen durch die Gegend. Jedoch sind die einzigen Reptilien, die wir heute sehen, Riesen-Eidechsen, von denen wir aber auch beeindruckt sind.

  

25Juli
2001

Kochkurs

Nach langem Ausschlafen und einem gemütlichen Tag wird es am späten Nachmittag spannend: Rita, die Köchin aus Markus Büro, und ihre Schwester Svetlana führen uns in die Kunst der Chingali- und Chatschapuri-Produktion ein. Zuerst gilt es aber, die entscheidende Grundsatzfrage zu erörtern:

Warum in aller Welt wollen Männer kochen…?!

Bei beiden Speisen ist die Herausforderung die richtige Konsistenz des Teigs, damit man ihn füllen kann, zudem machen wir uns Gedanken, welcher Schweizer Käse sich wohl am besten für Chatschapuri eignet. Aber Thiller kann dann ja zu Hause pröbeln, bevor er mich zum Essen einlädt.

Zum Dessert gibt’s Fruchtsalat mit Melonen und Pfirsichen in Bacardi-Zucker-Zitronensaft-Sauce (je ein Drittel), zum Kaffee armenischen Cognac.

So lässt sich’s leben…

Chingali (links) und Chatschapuri

26Juli
2001

Ballenberg

Am Vormittag besuchen wir mit Christa und Martin das Tifliser Freilichtmuseum, also quasi den hiesigen Ballenberg, wo uns eine unmotivierte Mitarbeiterin durch die Entwicklung der georgischen Landwirtschaft und historische Gebäude führt. Die drei besichtigen anschliessend noch die Schatzkammer im Georgian National Museum, ich habe jedoch genug Kultur gehabt, bummle alleine durch die Stadt und fotografiere Menschen. Einige posieren stolz vor ihrem Kiosk, ein Sonnenblumenkernen-Grosi flippt aber komplett aus, als ich sie frage, ob ich sie fotografieren darf.

Am späteren Nachmittag treffen wir uns mit unserem Bergführer und kaufen gemeinsam Lebensmittel für den mehrtägigen Trip in den Kaukasus ein, der morgen startet. Ziel ist der Kasbek, mit etwas über fünftausend Metern der dritthöchste Georgier.

Am Abend packen wir und verabschieden uns von den anderen. Monika und Markus fliegen für ein paar Tage in die Schweiz - ihre Villa dürfen wir aber für unseren weiteren Georgienaufenthalt weiter in Beschlag nehmen - und Christa und Martin reisen weiter Richtung Aserbaidschan.

27Juli
2001

Die zweite Seuche

Um halb fünf rappelt der Wecker, ich mache Licht und will grad aufstehen, da tönts aus Nachbars Schlafsack: «Du, ich glaub ich bin krank.» Thillers heisse Stirne bestätig diese Diagnose. Wir rufen unseren Bergführer an, verschieben die Tour, löschen das Licht und pennen weiter.

Auch Christa und Martin hat’s erwischt. Während die Patienten regelmässig auf den Topf rennen, besteht mein Tagwerk im Einkaufen von Bananen, schwarzer Schoggi und WC-Papier. Am Abend schaut der Arzt vorbei.

Auch ich fühle mich schlapp, das liegt jedoch an der schon tagelang herrschenden elenden Hitze um die vierzig Grad bei hoher Luftfeuchtigkeit.

28Juli
2001

Hängertag

Trotz der Hitze verpenne ich den halben Tag. Thiller geht’s schon etwas besser, sein Verdauungsapparat arbeitet jedoch noch immer als effizienter (= schneller) Durchlauferhitzer. Am Nachmittag begleiten wir Christa und Martin zum Zug, welcher sie nach Baku bringen wird und am Abend gehe ich mit Monika ins Restaurant Graz, wo ich mir zum Dessert ein Stück … Sachertorte gönne.

Erneut verabschieden wir uns von Monika und Markus, die in der Nacht in die Schweiz fliegen werden.

29Juli
2001

Laguna Vere

Ich entfliehe der Hitze zumindest für kurze Zeit und gehe ins Laguna Vere. Wie der Name erahnen lässt, handelt es sich dabei um riesiges betonstrotzendes Schwimmstadion aus der Sowjetzeit, das seine besten Zeiten hinter sich hat. Reizvoll daran ist einzig die Wassertemperatur.

Nach dem Eintritt gibt’s einen medizinischen Check. Dazu zeigt man der Frau Inspektorin die Füsse und wenn diese zufrieden ist, bekommt man einen drei Monate gültigen medizinischen Pass. Ich habe Glück und darf rein.

Das Bad ist ziemlich voll. Auf einer Seite sitzen einige Georgier am Beckenrand, die laut prahlend Bier trinken, Sonnenblumenkerne kauen und die Schalen regelmässig ins Becken spucken. Zwischendurch spucken sie auch ohne Schalen. Ich schwimme daher hauptsächlich auf der gegenüberliegenden Seite.

30Juli
2001

Fahrt nach Lagodechi

Da Thiller noch immer etwas wacklig auf den Beinen ist, kommt die Kasbek-Tour noch nicht in Frage und wir ziehen den vom WWF organisierten Trip in den Osten vor. Georgie, ein rauchsüchtiger Fernsehregisseur, bringt uns in einer gemütlichen vierstündigen Fahrt mit seinem Lada Schiguli die 160 Kilometer nach Lagodechi, wo wir von unseren Gastgebern Nana und Vasha mit Familie freundlich empfangen werden.

Wir lernen Soso, unseren Guide für die nächsten Tage und Natia, die als Dolmetscherin fungieren wird, kennen. Zu fünft (Georgie kommt auch mit) machen wir eine erste kleine Wanderung entlang eines Baches, in dem ich mich kurz abkühle.

Beim Abendessen erweist sich Soso als deutlich trinkfester als ich, Thiller kann sich mit Verweis auf seinen labilen Magen drücken. Wir drei gehen danach noch ins Städtchen, wo wir Sosos Kolleginnen und Kollegen treffen und einen gemütlichen Abend verbringen.

Unsere Gastgeberfamilie mit Nana und Vasha (oben und unten am Tisch) sowie Soso im roten Hemd. Vor dem Foto rennen sämtliche Damen (inkl. der kleinen Tinatin und der Babuschka) vor den Spiegel.

31Juli
2001

Wasserfall

Nach einem kräftigen Frühstück, Soso will tatsächlich schon wieder einen Cognac mit uns trinken, machen wir uns zu viert auf den Weg und wandern entlang eines Baches auf einem wenig begangenen Pfad durch den Wald. Natia mit profilarmen Halbschuhen, ich mit meinen schweren Scarpa. Sie spricht sehr gut Deutsch und runzelt regelmässig wegen unserem Bauerndeutsch die Stirn - ihre Ausdrucksweise ist sehr viel gehobener und grammatikalisch um einiges korrekter als unsere, dafür verwendet sie teilweise recht antiquierte Ausdrücke. Diese Gegensätze führen zu witzigen Auseinandersetzungen.

Nach etwas mehr als zwei Stunden erreichen wir unser Ziel, den (Rocho?)-Wasserfall. Eingebettet in eine urwaldähnliche Landschaft könnte der etwa zehn Meter hohe Wasserfall einem Indiana Jones Film entsprungen sein. Das Wasser ist eiskalt, was die anderen an einem erfrischenden Bad hindert. Ich markiere den Helden und bleibe etwa zwanzig Minuten im Wasser, während Thiller auf den Scheitel des Wasserfalls klettert und dahinter noch einen zweiten entdeckt.

Auf dem Rückweg grillt Soso ein leckeres Schaschlik und wärmt auf den Steinen der Feuerstelle Chatschapuri auf, dazu trinken wir Rotwein aus Kuhhörnern. Ich würde gerne ein Foto von uns allen machen, aber Natia weigert sich: so verschwitzt lasse sie sich garantiert nicht fotografieren…