27Juni
2001

Und los geht’s…!

Um halb vier in der Früh reisst uns der Wecker aus dem Tiefschlaf. Nach einem kurzen Frühstück starten wir den vollgepackten Eggitraktor und fahren via Sustenpass Richtung Süden. Endlich geht’s los, wir sind gespannt auf unseren dreimonatigen Trip in den Kaukasus und nach Zentralasien. Thiller, ein Kollege aus alter Pfadizeit (mit bürgerlichem Namen Michael) und ich wollen mit dem Auto über Italien, Griechenland und die Türkei nach Georgien fahren, wo wir ein paar Wochen bleiben und unseren Kollegen Markus und seine Frau Monika besuchen. Ein weiteres Ziel ist Kirgistan. Dort lebt und arbeitet Kurt, ein ehemaliger Studienkollege von mir, mit seiner Familie.

Die Idee dieser Reise haben wir schon seit mindestens zwei Jahren. Dass wir aber mit dem Auto fahren, kann im wahrsten Sinne des Wortes als Schnapsidee bezeichnet werden, die auf einer Roverreise nach Korsika im letzten Herbst entstanden ist und sich erst in den letzten Monaten konkretisiert hat. Ob wir wirklich bis Kirgistan mit dem Auto fahren, ist noch offen. Das hängt hauptsächlich von dessen Zustand und unseren Erfahrungen mit Strassen, Polizei und Zoll ab. Zudem fehlen uns dazu noch ein paar Visa.

Vielleicht noch ein paar Worte zu unserem Auto: der legendäre Eggitraktor, Thillers elfjähriger Golf-Diesel, hat bereits über 200’000 Kilometer auf dem Buckel. Vor zwei Wochen gab es einen kleinen Zwischenfall und Thiller hatte einiges an Carosseriearbeiten zu leisten. Zudem macht die Zylinderkopfdichtung Sorgen, aber bis Tiflis, der Hauptstadt Georgiens, schaffen wir es. Garantiert!

Thiller mit dem Eggitraktor im Hafen von Ancona

Unsere Reisevorbereitung hat sich hauptsächlich auf die Lektüre von Reiseführern, der Vervollständigung unserer Ausrüstung, der Visa-Beschaffung und der Reservation der Fähre für heute Abend beschränkt. Thiller hat zudem einige Russischlektionen an der Migros-Clubschule genossen und ich bin ein paar Mal auf einem Pferd gesessen. Zentralasien ohne Reiten würde gar nicht gehen, hat Thiller gemeint - mir graut jetzt schon davor.

Ich bin bereits am Vorabend nach Innertkirchen zu Thiller gefahren, damit wir heute zeitig losfahren können. Über Chiasso, Milano und Bologna fahren wir, mit einem kurzen Tank- und Pizzastop, nach Ancona, wo wir auf die Fähre nach Igoumenitsa verladen. Bei Gyros, Bier und dem salzhaltigen Fahrtwind kommt endlich Ferienstimmung auf. Wir sind ziemlich müde. Zum Schlafen rollen wir unsere Mätteli auf dem Oberdeck an einem windgeschützten Platz aus.

28Juni
2001

Quer durch Griechenland

Um fünf Uhr Ortszeit legen wir in Igoumenitsa (Griechenland) an und fahren durch kurvenreiches Gebiet entlang der albanischen Grenze Richtung Thessaloniki. Am frühen Nachmittag treffen wir auf einem Camping in Paralia ein, wo wir am Fusse des Olymp unser Zelt aufstellen. Danach stürzen wir uns ein erstes Mal ins Meer, doch der Spass wird uns durch ein Rudel höllisch brennende Quallen verdorben.

Sonnenaufgang in der Nähe von Igoumenitsa und die kurvenreiche Route quer durch Nord-Griechenland

Im Städtchen decken wir uns mit Lebensmitteln ein und setzen uns in eine gemütliche Strandbar. Dort machen wir uns Gedanken über die spätere Weiterreise von Georgien nach Kirgistan und wir entschliessen uns, es mit dem Auto durch Aserbaidschan, Turkmenistan und Usbekistan zu riskieren. Das fehlende Visa für Aserbaidschan würden wir in Georgien bekommen, dasjenige für Turkmenistan in der Türkei. Dafür brauchen wir aber die Einladung eines turkmenischen Reisebüros, die wir uns am nächsten Tag beschaffen wollen.

Da wir übers Wochenende auf dem turkmenischen Konsulat in Istanbul sowieso nichts erreichen würden, beschliessen wir, noch ein paar Tage auf diesem Camping zu bleiben. So können wir uns auch langsam an das immer wärmere Klima gewöhnen - und die griechische Küche geniessen.

Für diesen Trip habe ich mir übrigens eine neue Kamera zugelegt, eine kompakte Spiegelreflex von Minolta mit APS, dem modernen Advanced Photo System. Von einer digitalen Kamera ist mir abgeraten worden, denn die digitale Fotografie würde sich nie durchsetzen… Wie advanced das System aber wirklich war, zeigt die Tatsache, dass sowohl APS wie auch Minolta kurze Zeit später vom Markt verschwunden sind. Und daran, dass Thillers Fotos mit seiner uralten, kompakten Kamera viel besser geworden sind als meine.

Der Olymp (2918m) mit seinen vier Gipfeln

29Juni
2001

Paralia und Katerini

Endlich mal ausschlafen, denn immerhin haben wir ja auch so etwas wie Ferien! Thiller kommt vom WC zurück und macht eine Bemerkung über die blöden Steh-WC’s - es sollen für die nächsten drei Monate nicht die letzten sein.

Da wir dann auch noch im Stehen frühstücken müssen - einen Klapptisch haben wir dabei, jedoch keine Stühle - beschliessen wir, dieses Problem zu lösen. Während Thiller im Internet für die Visa nach turkmenischen Reisebüros sucht und mit Latif Travel telefoniert, mache ich mich auf die Suche nach Campingstühlen. Zudem finde ich eine Wanderkarte des Olymps, die uns morgen gute Dienste leisten wird und wir kaufen ein Schulheft, in dem wir ab sofort unsere Reise in Form eines Tagebuches dokumentieren wollen. Über Paralia schreibt Thiller beispielsweise: «...elend aufgeblasenes Touristenkaff, bei 35°C verkaufen sie doch überall Pelzmäntel!».

Nach einem ersten vergeblichen Faxversuch an das turkmenische Reisebüro fahren wir nach Katerini, dem nächstgrösseren Ort, und schauen uns die Gegend an. Den Abend verbringen wir mit Schwimmen (ohne Quallen), Strandbar, Gyros-Fast-Food und Retsina.

Ich starte erstmals unseren Benzinkocher und koche Tee für morgen. Dass ich eine Prise Salz rein gebe, was ich bei Bergtouren öfters mache, irritiert Thiller erst, der Tee wird ihm dann aber doch schmecken. Wir versuchen früh zu schlafen, was wegen dem höllischen Discolärm nicht so recht gelingt.

30Juni
2001

Όλυμπος

Der Olymp: tönt nach Touristenhügel mit Seilbahn, was aber definitiv nicht der Fall ist. Der Hauptgipfel liegt immerhin auf 2918 Meter; das sind knapp zweitausend Höhenmeter Auf- und Abstieg. Zwar hätte es unterwegs drei Hütten mit Übernachtungsmöglichkeit, wir wollen das aber an einem Tag machen.

Um fünf Uhr weckt mich Thiller und behauptet, ich hätte verschlafen. Er habe schon geduscht, gepackt und sei startklar. Wir fahren zum Ausgangsort auf rund 1000 Meter. Da Thiller seinen Tagesrucksack im Zelt vergessen hat, müht er sich mit seinem 90 Liter-Kofferrucksack ab. Dafür hat eine grob geschätzt zehnkilönige Wassermelone gut darin Platz.

Um halb sieben marschieren wir los, erst durch bewaldetes Gebiet bis zur Refuge A auf 2100 Meter, wo wir uns ein Znüni gönnen. Dann wird’s deutlich alpiner und leider auch nebliger. 150 Meter unterhalb des Gipfels gibt es noch eine kurze geographische Diskussion, bei der ich mich zum Glück durchsetze, wodurch wir auf direktem Weg zum Gipfel Mytikas finden.

Leider sind uns die griechischen Götter nicht gut gesinnt und die erhoffte tolle Aussicht endet an der nächsten Nebelwand. Trotzdem geniessen wir die verdiente Melone und nach einem Gipfelschnupf machen wir uns an den Abstieg. Beim erneuten Rast in der Hütte werden wir getröstet, dass dies garantiert der einzige Nebeltag zwischen Juni und September gewesen sei. Danke!

Gipfel-Selfie auf dem Olymp

Den Rest des Abstieges diskutieren wir darüber, ob es gewichtstechnisch besser sei, eine leere PET-Flasche auf dem Gipfel flachzudrücken oder nicht und wie sich das Gewicht beim Abstieg verändert. Zum Glück haben wir keine anderen Probleme…

01Juli
2001

Der Grenzübertritt

Wir brechen unser Zelt ab, verlassen den Camping und fahren über Thessaloniki, Kavala und Alexandroupolis Richtung Türkei. Vor der Grenze machen wir einen Bade- und Tankstopp und bei einem letzten, gebührenden griechischen Essen bestellt Thiller für sich ein Glas Retsina. Er bekommt eine ganze Karaffe, womit dann auch gleich geklärt ist, wer den Rest des Tages fährt.

An der Grenze stellen wir uns mit dem Auto in der Kolonne einfach hinten an und warten. Nach einer Dreiviertelstunde kommt eine Türkin, die vor uns in der Kolonne steht und erklärt uns in breitem Berndeutsch, dass wir zuerst die Zollformalitäten erledigen müssen, bevor wir zum Zöllner fahren. Wir sollen mit den Pässen und der grünen Versicherungskarte zum Schalter gehen. Ähm, grüne Versicherungskarte…!?

Während Thiller das Formelle erledigt, warte ich beim Auto und mache Bekanntschaft mit einem türkischen Lastwagenfahrer, der ein paar Worte deutsch spricht. Er wohnt am Schwarzen Meer und zeigt mir auf der Karte, wo wir am besten nach Georgien fahren. Er stehe hier schon seit zwei Tagen und warte darauf, dass er weiterfahren könne, aber das sei normal.

Nach drei (!) Stunden kommt Thiller endlich zurück. Das Problem war nicht die fehlende Versicherungskarte, sondern das normale Grenzübertrittsprozedere:
Formular mit Stempel beim Eingang.
Anstehen an Schalter 1, neues Formular mit Stempel.
Anstehen an Schalter 2, 1. Stempel in Pass.
Anstehen an der Kasse, bezahlen.
Wieder zu Schalter 1, zwei weitere Stempel in den Pass und noch mal bezahlen.

Wir steigen ins Auto, fahren zum Zöllner und halten ihm die Dokumente unter die Nase. Nix da mit weiterfahren: es fehlt noch ein Stempel! Und zwar derjenige der bestätigt, dass wir alle nötigen Stempel haben.

Nachdem das nun auch geschafft ist - mittlerweile ist es stockdunkel - fahren wir weiter bis Sultanköy, wo wir einen Einheimischen-Camping finden. Die Platzzuweisung gestaltet sich schwierig, da der Manager nicht da ist und die Gäste hier üblicherweise den ganzen Sommer verbringen. Trotzdem bekommen wir unseren Platz und später auch noch ein Feierabendbier.

Unser Zelt auf dem Camping in Sultanköy

02Juli
2001

Istanbul

Nach einem Gutenmorgenschwumm brechen wir das Zelt ab und fahren weiter Richtung Istanbul, wo wir das turkmenische Konsulat aufsuchen wollen, um ein Transitvisa für Turkmenistan zu bekommen. Ein kurzer Frühstücksstopp an einer Tankstelle und wir stürzen uns in den Verkehrsdschungel der Metropole. Da wir ursprünglich geplant hatten, einen grossen Bogen um diese Stadt zu machen, haben wir keine brauchbaren Karten dabei und irren zwei Stunden ziemlich orientierungslos kreuz und quer herum, bis uns ein Taxifahrer erklärt, wo wir sind. Ich staune über Thillers Coolness in diesem Verkehrschaos.

2001 sitzt das Navi noch auf dem Beifahrersitz und muss ab und zu nach dem Weg fragen.

Am frühen Nachmittag finden wir endlich ein Hotel und Thiller nimmt Kontakt mit dem turkmenischen Konsulat auf. Wir haben Pech, es hat nur am Vormittag offen! Dann machen wir halt Siesta, essen Kebab und besichtigen den Bezirk Sultanahmet.

Sightseeing in Istanbul und erster Blick auf die Bosporusbrücke (unten), der Verbindung zwischen Europa und Asien, die wir morgen überqueren werden.

03Juli
2001

Auf dem turkmenischen Konsulat

Wir stehen zeitig auf, frühstücken und fahren zum turkmenischen Konsulat. Entgegen den Empfehlungen des Hotelmanagers fahren wir selber hin und finden es fast auf anhieb.

Dort heisst es zuerst, wir müssten zehn Tage auf das Visa warten, obschon man uns vor ein paar Tagen telefonisch versprochen hatte, dass sich das in einem Tag machen liesse. Thiller telefoniert daraufhin mit der Botschaft in Ankara und tatsächlich kommt Bewegung in die Angelegenheit: Wir füllen Anträge aus, unsere Pässe werden kopiert und wir schreiben den wohl einschleimensten Brief unseres Lebens an den Generalkonsul mit einem Lobgesang auf Turkmenistan und Gründen, warum wir dieses wundervolle Land unbedingt durchreisen und kennenlernen wollen. Sollte Turkmenistan so etwas wie ein Staatsarchiv haben, so gehe ich schwer davon aus, dass dieser Brief dort archiviert ist. Aber es nützt: Kurz vor zwölf Uhr erklärt uns der Sekretär, dass wir das Visa sofort bekommen würden - jedoch nicht hier, sondern in Ankara.

400 Kilometer später, es ist schon später Nachmittag, treffen wir in Ankara ein. Hier das gleiche Spiel wie in Istanbul, mangels Karte fehlt uns die Orientierung und wir wenden uns diesmal an einen Polizisten. Er führe uns gerne hin, sein Kollege sei aber gerade beim Schuhe kaufen. Ob er uns in Zwischenzeit zu einem Tee einladen dürfe?

Überhaupt sind die Türken ein sehr gastfreundliches und vor allem interessiertes Volk. Sehr schnell ergeben sich interessante Gespräche und sobald wir eine Strassenkarte hervornehmen, müssen wir von unseren Plänen erzählen und bekommen gute Tipps für die besten Routen und was wir uns unbedingt ansehen müssen.

Natürlich ist die Botschaft kurz vor 18 Uhr schon zu, dafür wissen wir jetzt, wo sie ist und wann sie offen hat. Wir suchen uns ein Hotel, gehen in der Migros einkaufen und legen uns zeitig schlafen.

Türkischer Verkehrs-Alltag

04Juli
2001

Ankara

Punkt neun Uhr sind wir in der Botschaft, füllen zum x-ten Mal einen Antrag aus, bringen 2x41 Dollar zur Bank, lassen Passfotos machen und erfahren, dass wir die Pässe um 17 Uhr abholen können. Wir waren tatsächlich so naiv zu glauben, dass das schneller gehen würde! Wir wollen endlich weiter.

Aber so haben wir wenigstens Zeit, uns Ankara anzuschauen. Im Bezirk Ulus finden wir haufenweise Ruinen und kleine Gässchen, woraus wir schliessen, dass dies die Altstadt sein müsse. Genau um zwölf Uhr mittags - wir sind auf einer Anhöhe und überblicken die ganze Stadt - fängt es auf den zahlreichen Minaretten zu knacken und zu rauschen an und aus hunderten von Lautsprechern ruft der Muezzin zum Mittagsgebet, bevor sich sein Gebets-Singsang über die Stadt legt. Eindrücklich!

Kurz vor fünf Uhr holen wir endlich unsere Pässe mit den turkmenischen Transitvisa ab, bedanken uns, steigen ins Auto und…

Thillers erste Diagnose ist ein Defekt der Dieselpumpe. Nachdem die Reparaturversuche scheitern und der Motor noch immer keinen Wank macht, fährt Thiller mit einem Taxi in eine VW-Garage. Dort erfährt er nur, dass für heute Feierabend ist und wir morgen wieder vorbeikommen sollen.

Wohl oder übel lassen wir uns wieder zum Hotel bringen - eigentlich hätten wir ja noch so weit wie möglich Richtung Schwarzes Meer fahren wollen. Mit frischem Sesambrot, Hasliberger-Alpchäs und einem Schluck Roten beenden wir den Tag.

In und über den Gassen von Ankara

05Juli
2001

Das Ende einer Legende

Wir erscheinen früher als abgemacht in der Garage. Ibrahim, der deutschsprachige Neffe des Garagisten, ist noch nicht da und wir trinken erst mal eine Stunde Tee. Dann geht der Betriebsausflug los: ein Fahrer, zwei Mechaniker, der Chef, Ibrahim, Thiller und ich fahren mit einem Bus zu unserem Auto. Dort bekommen die Türken einen Lachanfall: obschon in Ankara viele ältere Autos in deutlich schlechterem Zustand unterwegs sind, machen sie sich über Thillers Eggitraktor lustig. Rost sind sie sich halt nicht gewöhnt.

Das Problem scheint ernst zu sein, das Auto muss in die Garage. Nach einer Stunde erscheint der Abschleppwagen, der uns zurück in die Garage bringt. Dort dann die niedererschmetternde Diagnose: Ventil verklemmt, Nockenwelle gebrochen und ein Lagerblock aus dem Gehäuse gerissen.

Bei einem Kebab diskutieren wir, was wir machen. Die Reparatur würde 2'000'000'000 Türkische Lira kosten und zwei bis drei Tage dauern. Wenn wir keinen Kommafehler machen, sind das rund 2'000 Franken, was uns doch als zu viel erscheint und wir entscheiden uns schweren Herzens, das Auto zurückzulassen. In den nächsten Wochen werden wir häufig darüber diskutieren, ob das die richtige Entscheidung war und was wir mit Auto anders erlebt hätten.

in memoriam

Wir geben unseren Entscheid Ibrahim bekannt und kurz drauf stürzen sich die Mechaniker wie Hyänen auf das Auto. Diesel wird abgesaugt und so ziemlich alles Mögliche wird ab- und ausgebaut: Räder, Batterie, Anlasser, Ventilator, Dieselpumpe, Armaturenbrett, etc.

Thiller telefoniert mit der Schweizer Botschaft, um abzuklären, wie wir weiter vorgehen müssen. Er hat ja einen Vermerk im Pass, dass wir mit Auto eingereist sind und ohne dieses können wir nicht einfach so ausreisen. Danach fährt er mit einem Hotelangestellten zum Zollamt, während ich ein Internetcafe suche, um Flüge nach Tiflis zu finden. Wir wollen endlich wieder Boden gut machen und so schnell wie möglich nach Georgien, darum ist der Landweg keine Option.

Thiller erfährt, dass wir das Auto zum Zollamt bringen müssen, was aber - oh Wunder - mal wieder erst am nächsten Tag möglich ist.

06Juli
2001

Das Labyrinth

Der Tag beginnt mit packen. Es ist gar nicht so einfach, einen Autoinhalt auf zwei Rucksäcke, eine Reisetasche, einen Kofferrucksack, zwei Tagesrucksäcke und eine Kühlbox zu verteilen. Vieles bleibt natürlich in der Türkei, unter anderem unsere frisch erstandenen Klappstühle. Um zehn Uhr sind wir wieder in der VW-Garage und bringen den Golf zum Schrottplatz der Zollverwaltung. Hier werden wir fast den ganzen Tag verbringen...

Während ich auf das Gepäck aufpasse, geht für Thiller und Ibrahim der Marathon los. Das Verwaltungsgebäude erinnert an eine riesige, vierstöckige Kaserne mit endlosen Gängen, in denen sich rechts und links ein Büro an das andere reiht. Sie gehen von Büro zu Büro, füllen ein Formular nach dem anderen aus und sammeln unzählige Stempel - es scheint unmöglich, dass jemand so viel Fantasie aufbringen kann, ein derart kompliziertes Prozedere zu erfinden.

Schlussendlich - mittlerweile ist es drei Uhr am Nachmittag - fehlt nur noch der eine Stempel der besagt, dass das Auto in Ordnung ist. Aber genau das ist es eben nicht, weil sie es in der Garage ja komplett ausgeschlachtet haben. Für umgerechnet 100 Franken würde uns der Beamte diesen Stempel geben; mutmasslich ohne Quittung und als Entschädigung dafür, weil er jetzt kein Autoradio, keine Batterie und keine Felgen verkaufen kann. Viel zu viel finden wir und wollen verhandeln, ernten aber nur ein fieses Grinsen mit Schulterzucken. Es ist Freitag-Nachmittag, bald hat er Feierabend und wenn wir wollen, können wir gerne am Montag wieder kommen. Selbstverständlich können wir dann auch die Originalteile mitbringen, dann entfällt die «Gebühr».

Einige Millionen Lire wechseln den Besitzer, wir bekommen unseren Stempel und dürfen ausreisen, was wir dann auch gleich organisieren. Noch im Taxi zum Flughafen organisiert Thiller einen Flug via Istanbul nach Tiflis. Am Flughafen dann ein ziemliches Gehetze, weil der Flug gleich startet, dafür hat auch niemand Zeit unser Gepäck zu wiegen und wir müssen für unsere rund 100 Kilo Gepäck keinen Aufpreis bezahlen. Dass wir Thillers Autonummer im Taxi liegengelassen haben, merken wir erst später.

In Istanbul versuchen wir erfolglos, unsere Gastgeber in Tiflis zu erreichen, verpassen fast den Anschlussflug, weil dieser früher startet als geplant, und fliegen dann im Halbschlaf über das Schwarze Meer Richtung…

GEORGIEN

Nachdem die Einreiseformalitäten erledigt sind - im Vergleich zur Türkei geht das extrem schnell - spricht uns ein Polizist an und fragt, ob wir ein Hotel suchen. Er setzt sich mit uns in ein Taxi und wir lassen uns in die Stadt fahren. Beim Hotel geht er voraus, um zu klären, ob sie ein Zimmer für uns haben und vermutlich auch um seine Provision auszuhandeln. Auf die Frage, wieviel denn das Taxi koste meint er: «Ach meine Freunde, gebt mir einfach 100 Dollar, das ist schon okay!» Wir meinen, 20 wären mehr als genug und einigen uns auf 50, was natürlich noch immer viel zu viel ist. Aber es ist fünf Uhr in der Früh und wir wollen nur noch ins Bett, alles andere ist uns egal!

Unser Visa für Georgien

07Juli
2001

თბილისი (Tbilissi/Tiflis)

Gegen Mittag werden wir langsam munter und telefonieren mit Monika und Markus, um sie endlich über unser Eintreffen zu informieren. Nach einem ausgiebigen Frühstück werden wir von ihnen abgeholt und ein Taxi bringt uns mit unserem Gepäckberg zu ihrem Haus in der Betlemi Street, inmitten der Altstadt. Das Haus ist riesig und hier nisten wir uns für die nächsten Wochen ein.

Nach der Tour de Maison fahren wir auf den Hausberg, von dem aus man einen herrlichen Überblick über die Stadt hat. Früher gab es hier eine Standseilbahn rauf, diese ist aber vor einigen Jahren mit einem Rudel Japanern an Bord unterwegs umgekippt und liegt noch immer dort - ein repräsentatives Beispiel für den Zustand der georgischen Infrastruktur.

Am Abend gehen wir in ein Restaurant essen. Wir futtern uns einmal quer durch die georgische Küche und sind begeistert. Kulinarisch kommt das auf jeden Fall schon mal gut.

Tiflis mit seinen charakteristischen Häusern am Steilufer des Mtkwari und den ebenso unverkennbaren Kirchen

08Juli
2001

Thillers neuer Freund

Am späten Vormittag gehe ich mit Markus zur Bäckerei, um Brot zu kaufen und mich in der georgischen Brotbackkunst unterweisen zu lassen. Der Backofen ist ein grosser schamottierter Tonkrug mit einem Feuer drin. Die Teigfladen werden an die Innenwand geklatscht, sie sind nach zehn bis zwölf Minuten fertig und werden dann mit einer langen Stange abgelöst und herausgenommen. Das Brot schmeckt einmalig gut!

Georgischer Backofen

Nach einem mehr als ausgiebigen Brunch fahren wir vier einige Kilometer Richtung Norden zu einem Badesee, wo die Georgier nicht nur sich selbst, sondern am gleichen Strand auch gleich ihre Autos waschen. Nikolai, ein älterer Georgier, setzt sich zu uns und lädt uns auf einen Wodka ein. Für ihn ist es jedenfalls nicht der erste.

Unsere heutige Lektion: Ein Wodka ist nicht ein Glas, sondern eine Flasche. Wir trinken mit Nikolai auf die schweizerische-georgische Freundschaft, auf seine Familie, auf unsere Familie, auf Gott, wieder auf die Freundschaft, auf Georgien und so weiter. Und jedes Mal ein Glas ex! Thiller hat das Glück, direkt neben ihm zu sitzen und bekommt jedesmal eine Umarmung und Küsse ab. Dann trinken sie auf Bruderschaft. Doch ausgerechnet dieses Glas hätte Thiller nicht ex runterkippen dürfen - aber Nikolai vergibt seinem neuen Freund Michail.

Wir riskieren, Nikolai zu beleidigen und wollen ihm etwas für den Wodka bezahlen. Seine Schwiegertochter versucht mit einem kleinen Kiosk am See ihre ganze Sippe zu ernähren und er säuft ihr den ganzen Alkoholvorrat weg. Ein paar Lari können also nicht schaden. Diese verweigert er natürlich zuerst, flucht, trampelt drauf herum, spielt den beleidigten, steckt sie dann aber doch ein und trottet davon.

Am Abend fahren wir wieder in ein Restaurant und werden in die Kunst des Chingali-Essens eingeführt.

09Juli
2001

Stadtbummel

Den heutigen Tag gehen wir gemütlich an. Nach einem Besuch auf der Schweizer Botschaft wegen den liegengelassenen Autonummern und unseren Visa für Aserbaidschan, bummeln wir mit Monika erst durch Tiflis, dann durch den Bazar. Dieser ist riesig und farbenfroh, die Produktpalette hält sich allerdings in Grenzen: Tomaten, Gurken, Auberginen, Kartoffeln, Zwiebeln, Tomaten, Gurken, Auberginen, …

Tomaten, Gurken, Auberginen, Kartoffeln, Zwiebeln,...

Weniger farbenfroh präsentiert sich hingegen die Fleischabteilung: die Fleischstücke liegen in der warmen Halle auf schmuddeligen Zeitungsstücken, zum Beispiel Kalbshirne an einem Innereienstand! Monika sagt, dass sie Fleisch vorzugsweise in einem europäischen Supermarkt kaufe, was ich voll verstehe.

Mit einem Schieber und einem guten Cheli beenden wir den Tag.

Links das Hotel Iveria, einst ein Luxushotel, jetzt Unterkunft für 800 Flüchtlinge des Georgisch-Abchasischen Krieges 1992/93. In der Mitte die riesige Statue "Mutter Georgiens", sie hält eine Schale Wein für Freunde in der einen und ein Schwert gegen Feinde in der anderen Hand. Und daneben eine von unzähligen Kirchen.


Oben links Blick über die Altstadt Richtung Festung Nariqala und die Statue, daneben eine von unzähligen Kirchen. Unten links ein Beispiel sowjetischer Architektur mit dem Regierungsgebäude an der Rustaveli-Avenue und daneben "Andropows Ohren" - welchen Zweck das Gebäude auch immer hat.

10Juli
2001

Tollwut

Heute erkunden wir die nähere Umgebung, also die Altstadt. Die heruntergekommen Häuser haben einen speziellen Baustil mit mediterranem Flair und vielerorts wachsen Reben. Schade, dass alles in einem so schlechten Zustand ist, vor Jahrzehnten muss das ein sehr schönes Viertel gewesen sein. Aber nicht nur die Häuser, auch die gesamte Infrastruktur ist in einem desolaten Zustand: Strassen sind voll Löcher, Stromleitung hängen herunter, Beleuchtung funktioniert selten und auf Schachtdeckel steht man auf eigenes Risiko.

Auf einem stark abfallenden Kiesweg rutsche ich leicht aus, was ein schlafender Hund am Wegrand als Bedrohung sieht und mich in die Wade beisst. Der Besitzer entschuldigt sich und wäscht mir mit Seife die Wunde aus. Auf die komische orange Flüssigkeit, die Desinfektionsmittel sein soll, verzichte ich dankend.

Wir gehen zurück, Monika unterbricht ihre Russischlektion und bringt mich zum Georgia Frontline Medical Service, wo ein Arzt die Wunde noch einmal reinigt und mir eine Tollwutspritze gibt. Da ich mich vor der Reise bereits habe impfen lassen, werden zwei Spritzen reichen, ansonsten wäre es eine Rosskur geworden. Alternativ hätte auch das Hirn des Hundes seziert und auf Tollwut untersucht werden können.

Zum Abendessen haben unsere Gastgeber Claude eingeladen, einen Mitarbeiter der Schweizer Botschaft, der vor einigen Monaten mit dem Auto eine Reise entlang der Seidenstrasse nach Almaty (Kasachstan) gemacht hat, also mehr oder weniger den Weg, den wir noch vor uns haben. Er schwärmt davon, was unsere Vorfreude auf die nächsten Wochen steigert und gibt uns viele wertvolle Tipps. Dass wir das Auto nicht haben reparieren lassen, ist aus seiner Sicht ein grosser Fehler gewesen.

Dann fahren wir zum Tbilisi Jazz Festival, gemäss Speaker nach Montreux die zweitwichtigste Veranstaltung dieser Art. Zu Kazbegi-Bier (im Preis inbegriffen) essen wir … Früchte.


11Juli
2001

Das heftige Rumpeln

Ein heftiges Rumpeln im Gedärm weckt mich und ich renne notfallmässig aufs Klo. Ich mache mir gerade Gedanken darüber, ob das etwas mit der Impfung zu tun haben könnte, da klopft es an der Türe: Thiller hat das gleiche Leiden, aber zum Glück hat das Haus ja mehrere WC’s.

Den Rest des Tages verbringen wir mit Liegen, Lesen, Tee trinken und längeren Sitzungen. Monika ist überzeugt, dass die Früchte gestern Abend schuld an unserem momentanen Gesundheitszustand sind, respektive das Wasser, mit denen sie gewaschen worden sind. Sie hat in weiser Voraussicht keine Früchte gegessen und ihr geht es blendend.

Am Abend quälen wir uns noch mal zum Jazz Festival, wobei wir heute auf Früchte und Gratisbier verzichten!

12Juli
2001

Chatschapuri

So langsam aber sicher scheint sich unser Verdauungsapparat zu erholen. Zwar sind wir noch etwas wacklig auf den Beinen, trotzdem wagen wir uns aus dem Haus und besuchen den Bildermarkt. Wir staunen über die georgische Malerei und die Preispolitik: je länger wir uns über ein Bild unterhalten und über den Preis diskutieren, desto teurer wird das Bild.

Danach machen wir den ultimativen Verdauungstest und essen in einem gemütlichen Restaurant Chatschapuri, das sind beidseitig gebackene Käsefladen und aus unserer Sicht das Highlight der georgischen Küche. Wir bestehen den Test.

Zeitig gehen wir zurück in die Wohnung, um uns von den Strapazen des Tages zu erholen.

13Juli
2001

Chingali

Am Morgen lasse ich mir die zweite Tollwutspritze geben und bin nun immun gegen tollwütige Hunde. Danach fahren wir zum «Baumarkt», ein Flohmarkt auf einem riesigen Gelände, wo alles verkauft wird, was irgendetwas mit Bauen, Auto, Elektro, etc. zu tun hat. Die meiste Zeit verbringen wir damit, einen Stecker für der Zigarettenanzünder zu suchen, damit Markus und Monika unsere mitgeschleppte Auto-Kühlbox weiterverwenden können. Wenn’s doch der Eggitraktor wenigstens bis hierher geschafft hätte, hier liessen sich die Einzelteile ehrenvoller verscherbeln…

20 Jahre später (2021) postet jeder über Social Media ein Foto seines Impfpasseintrages der Covid19-Impfung. Ich poste lieber das meiner georgischen Tollwutimpfung, die hat den grösseren Seltenheitswert...

Nach einem Coiffeurbesuch gehen wir am Abend frisch gestylt Chingali essen. Das sind mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen, also so eine Art Ravioli, die man von Hand isst und sich dabei die Finger verbrennen muss. Die Spitze, wo der Teig zusammengedrückt ist, isst man dabei nicht, sondern legt sie auf den Tellerrand und kann am Schluss zählen, wie viele man gegessen hat. Chingali belegen Rang 2 in unserem Ranking der georgischen Küche und wir beschliessen, dass wir die Kunst der Herstellung lernen müssen.

Während des Essens schmieden wir Pläne für die nächsten Tage, wir wollen ans Schwarze Meer und dann ein erstes Mal Richtung Norden in den Kaukasus.

14Juli
2001

Fahrt ans Schwarze Meer

Nach einer Woche Untätigkeit ist es an der Zeit, dass wir wieder etwas unternehmen. Um neun Uhr startet Monika den Pajero Richtung Westen, wir wollen endlich ans Schwarze Meer. Für die Georgier muss es komisch aussehen: eine Frau am Steuer und zwei Männer als Beifahrer. Aber aus versicherungstechnischen Gründen geht das nicht anders.

Von Monika erfahren wir unterwegs viel über Georgien. Schliesslich leben sie und Markus nun schon fast drei Jahre hier, sprechen gut Russisch und auch etwas Georgisch (das sogar ein eigenes Alphabet hat) und kennen Land und Leute. Was sie uns aber auch nicht erklären kann ist, warum in einem Ort auf rund hundert Meter Länge ein Backofen neben dem anderen steht und frisch gebackenes Brot verkauft wird, im nächsten ausschliesslich Chatschapuri, im dritten Hängematten, im vierten Töpferwaren und im fünften Mineralwasser. Das fehlende marktwirtschaftliche Denken scheint eine breitere Produktpalette je Dorf zu verhindern.

O-Ton Monika: «Das georgische Alphabet ist ganz einfach, man schreibt alles so wie man es sagt.» Klar, sieht man ja auf dem Ortsschild im linken Bild. Rechts: Brotbacken geht auch in alten Ölfässern.

Unsere Aufmerksamkeit erregen auch zahlreiche gigantische Industrieruinen aus der Sowjetzeit, welche die Gegend verwüsten und sicher auch ökologischen Schaden anrichten. Für den georgischen Markt sind diese Anlagen x-fach überdimensioniert und waren bestimmt schon vor der Unabhängigkeit vor knapp zehn Jahren veraltet. Jetzt rosten sie friedlich vor sich hin.

Sowjetische Erbstücke

Ein Toilettenhalt kurz nach dem Scheiteltunnel, der die Wasserscheide vom Kaspischen zum Schwarzen Meer markiert, entwickelt sich zu einer kleinen Fressorgie mit Chatschapuri und Schaschlik (Spiesschen). Essen ist wirklich eines der zentralen Themen unseres Georgienaufenthaltes und wenn wir so weitermachen, werden wir noch zum typischen Georgier, der so um die 120 kg auf die Waage bringen dürfte.

In Kobuleti, dem Ferienort am Schwarzen Meer, suchen wir eine Bleibe, was gar nicht so einfach ist. Wir finden eine einzige angeschriebene Pension, die uns aber nicht passt. Durch fragen entdecken wir ein nagelneues Hotel direkt am Meer, wo wir eine ganze Etage für uns alleine haben. Warum das Hotel nicht angeschrieben und keine Wegweiser hinführen, finden wir später heraus: Unternehmen werden vom Staat so stark geschröpft, dass die meisten Geschäfte schwarz über die Bühne gehen. Zudem gibt es zahlreiche mafiaähnliche Organisationen, die irgendwie mitnaschen wollen (Schutzgelder, etc.). Das Hotel ist als Privathaus deklariert, die Gäste finden durch Mund-zu-Mund-Propaganda hin.

Unser Hotel und der kitschige Sonnenuntergang, mutmasslich namensgebend für das Schwarze Meer

Den Rest des Tages verbringen wir am Strand - endlich sind wir am Schwarzen Meer! Eigentlich hätten wir das vor fast zehn Tagen nach unserem Ankara-Abstecher schon auf der türkischen Seite erreichen sollen, aber eben…

Nach einem kitschig/schönen Sonnenuntergang genehmigen wir uns ein kleines Nachtessen und ein paar Bier in einer Strandbar mit Live-Musik. Soso, der etwa 25jähriger Sohn der Wirtefamilie, begleitet uns und wir laden ihn zu einem Bier ein. Wir machen Prost und trinken einen Schluck. Soso schaut uns fragend an und wendet sich an Monika. «Auf was wir den anstossen?», übersetzt sie uns. Natürlich, einfach so Gaumardschoss und dann einen Schluck nehmen, geht natürlich nicht! Es muss auf etwas getrunken werden. Monika empfiehlt uns, auf die Freundschaft zu trinken, das mache sich immer gut!

15Juli
2001

Batumi

Nach einem improvisierten Frühstück gehen wir schwimmen und lassen uns am Strand grillen. Es ist unglaublich heiss, sogar die einheimischen verziehen sich über die Mittagszeit in den Schatten. Nach dem Mittag fahren wir nach Batumi, einer kleinen Hafenstadt an der türkischen Grenze. Die Gegend ist extrem fruchtbar, unglaublich, was alles wächst und blüht. Endlos grosse, verwilderte Teeplantagen erinnern wieder an die Sowjetzeit. Nur ein kleiner Teil wird heute noch genutzt, respektive geerntet - wachsen tut’s ja von selbst.

Der Bezirk Adscharien hat einen speziellen Status. An der Bezirksgrenze gibt es so etwas wie eine Zollkontrolle, die wir dank Monikas Diplomatenausweis problemlos passieren. Überhaupt ist das Diplomaten-Zeichen am Auto ganz schön praktisch: wenn Polizisten uns von der Strasse winken wollen, winken wir freundlich zurück und fahren weiter. Wären wir mit dem eigenen Auto durch Georgien gefahren, hätte uns das eine ordentliche Stange Geld gekostet, denn die reichen Touristen lassen sich ja gut abzocken und Gründe, den mageren Polizistenlohn aufzubessern, lassen sich immer finden.

Im Gegensatz zu Tiflis macht Batumi einen sehr intakten Eindruck: die Strassen sind besser, alles ist sauberer, der Hafen funktioniert - man merkt, dass die Zolleinnahmen den Weg in die Hauptstadt nicht finden und vor Ort investiert werden.

Nach einem Chatschapuri (kann man täglich mehrmals essen!) in einem Hafenrestaurant fahren wir wieder zurück. Thiller spielt noch ein paar Runden Backgammon gegen Soso (Kurzform für Joseph) und Hotelangestellte.

16Juli
2001

Kutaissi

Ich stehe früh auf und gehe schwimmen. Um Mittag rum, Thiller und ich sitzen noch immer beim Frühstück, trifft Monika mit Christa und Martin ein, die sie am Hafen in Poti abgeholt hat. Die beiden sind über Bulgarien ans Schwarze Meer und dann mit der Fähre nach Poti gefahren. Sie haben mehr Glück gehabt als wir und bringen ihren Opel-Kombi mit.

Um eins beginnen wir einen Volleymatch, was von den Georgiern erst mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen wird, sie helfen dann aber doch mit, immerhin haben sie zuvor den Platz mit viel Aufwand hergerichtet. Zwischen den Sätzen kühlen wir uns im Wasser ab.

Danach fahren wir parallel zum kleinen Kaukasus auf einer wenig befahrenen Strasse Richtung Kutaisi, der grössten Stadt zwischen Tiflis und dem Schwarzen Meer. Bei unserem Wirten Zelimchan treffen wir auf Markus, morgen wollen wir zu sechst für ein paar Tage in den Kaukasus.

Das Nachtessen ist mal wieder der Hammer, ein typisch georgisches Gelage quer durch die Küche mit (viel zu) viel Hauswein. Dafür mache ich die ganze Nacht praktisch kein Auge zu, es ist einfach viel zu heiss und die Säure des Weines will zu sämtlichen Poren wieder heraus. Am morgen fühle ich mich wie frisch in Essig gebadet.

17Juli
2001

Ins Sanatorium eingeliefert

Nach einem kräftigen Frühstück geht’s mit zwei Autos los Richtung Kaukasus. Irgendwo verpassen wir eine Abzweigung, die Strasse wird mit jedem Meter schlechter und erinnert irgendwann an ein ausgetrocknetes Bachbett. Ordentlich durchgeschüttelt und mit einem Haufen Schrammen im Unterboden von Martins Kadett kommen wir in Tqibuli an, wo wir erwartet werden.

Als erstes gehen wir - was sonst?! - essen! Danach lassen wir uns nach Şovi in ein ehemaliges sowjetisches Sanatorium bringen, wo wir uns in einer Baracke einquartieren.


Das Sanatorium von Şovi, wo wir in der Baracke oben rechts Zimmer mit Etagen-Toilette haben.

Das Sanatorium hat zu seiner besten Zeit 5000 Plätze gehabt, heute ist es ziemlich heruntergekommen und nur noch wenige Zimmer sind brauchbar. Viel später erfahren wir dann mal, dass in unserer Heimat das Gerücht die Runde gemacht habe, es müsse uns schlecht gehen, weil wir in ein Sanatorium eingeliefert worden seien. Sanatorien dienten in der Sowjetunion aber nicht nur zur Reha sondern auch dazu, fleissige Genossinnen und Genossen, oder solche mit entsprechenden Beziehungen, mit Urlaub zu belohnen.

Gia, ein lokaler Tourenführer, meint, wir müssten am nächsten Tag unbedingt eine kleine Wanderung unternehmen, um die Gegend anzuschauen. Er würde uns gerne führen, es koste nur 50 Dollar pro Person! Wir einigen uns auf 20. Danach lassen wir uns in der Kantine von einem kleinen, lustigen Koch mit Goldzähnen das Nachtessen servieren.

18Juli
2001

Udziro Lake

Um sieben Uhr ist Tagwache und kurze Zeit später sitzen wir vor einem scharfen Buchweizengulasch, welches zwar schmeckt, zwölf Stunden später aber sicher besser angekommen wäre.

Zu siebt quetschen wir uns in einen Lada Niva und fahren ins Dorf, wo Gia mit seinem Gehilfen Schalwa, einer Flinte und zwei Pferden wartet. Dann geht’s zu Fuss in ordentlichem Tempo steil bergauf. Nach einer Stunde teilen wir uns das bisschen Wasser, das wir mitgenommen haben und schon bald wird klar, dass aus der kleinen Wanderung eine richtige Bergtour wird. Thiller und ich weigern uns trotzdem, unsere Rucksäcke den Pferden anzuhängen und sehen das als Training, schliesslich haben wir noch grösseres vor.

Über saftige Wiesen geht es ungefähr drei Stunden weiter bis in einen kleinen Sattel. Die Gegend erinnert uns an unsere Heimat, es sieht ähnlich aus wie im Rosenlaui. Nach einer weiteren Stunde erreichen wir unser Ziel, einen mystisch blauen Gletschersee, aus dem zu trinken für irgendetwas gut sein soll. Dass wir am Udziro Lake sind, finde ich erst 20 Jahre später googleseidank heraus. Thiller und ich besteigen noch einen naheliegenden namenlosen Dreitausender, bevor uns ein drohendes Gewitter zum Abstieg zwingt.

Weiter unten treffen wir auf die anderen. Nach dem Gewitter gibt es gibt eine kleine Stärkung und Thiller macht noch einen kurzen Ausritt, bevor wir wieder absteigen. Am Abend jassen wir noch eine Weile und scheinbar bin ich dermassen schlecht, dass Thiller in unserem Reisetagebuch vermerkt, ich hätte ihm einen sicheren Slalommatch mit vier Bauern vermiest.

Links: Blick vom See zum Gipfel, wo man Thiller und mich erahnen kann und rechts: Blick vom Gipfel runter zum See mit dem Rest der Wandergruppe.

19Juli
2001

Picknick am Mamisoni-Pass

Wir chartern einen alten UAZ aus ehemaligen Sowjetbeständen inklusive Fahrer (Gilo) und fahren Richtung Mamisoni-Pass, welcher die Grenze zwischen Georgien und Russland markiert. Gia begleitet uns wiederum als Führer.

Nach einer Stunde Fahrt und zwanzig Minuten Marsch erreichen wir eine schöne Alp, wo wir es uns an einem Bach gemütlich machen. Zum Picknick gibt’s Hauswein und Tschatscha (Grappa), begleitet von zahlreichen Trinksprüchen. Dem Fahrer jedenfalls scheint der Selbstgebrannte zu schmecken, merkt unsere besorgten Blicke und beruhigt uns: er habe acht Jahre unfallfrei als Fahrer gearbeitet und dabei zum Frühstück jeweils 300 Gramm Vodka getrunken…

Zurück im Camp organisieren wir ein Länderspiel Georgien-Schweiz, welches wir dank der Verstärkung 10:7 gewinnen. Da das unser letzter Abend in Şovi ist, wird zum z’Nacht noch einmal ordentlich aufgetischt, dazu gibt’s viel Wein und noch mehr Trinksprüche. Gia ist der Tamada, also quasi der Tischmeister, der die Trinksprüche ausbringt und dabei einem mehr oder weniger festen Ablauf folgt. Man trinkt so ziemlich auf alles und jeden - und vor allem viel.

Unsere Gruppe auf dem UAZ und beim Abschlussgelage

20Juli
2001

Nikortsminda

Ein paar Fotos knipsen, Mineralwasser abfüllen und dann machen wir uns auf den Weg. Über Nikorsminda fahren wir zurück nach Kutaisi zu Zelimchan, wo am Abend das übliche Gelage auf uns wartet.

Unterwegs entdecke ich eine kleine Sägerei, die wir uns anschauen und essen etwas später das angeblich beste Schaschlik überhaupt. Es stellt sich heraus, dass es aus Innereien besteht, was nicht alle gleichermassen begeistert. Während das für andere ein Festessen ist, habe ich gerade nicht so viel Hunger und begnüge mich mit den Beilagen.

Nikortsminda ist ein kleiner Ort mit einem grossen Dom. Monika freundet sich mit einem sympathischen Prieser an, der uns zu einer ausführlichen Kirchenführung einlädt. An diesem Standort soll es schon seit fast tausend Jahren eine Kirche geben, die jetzige sei bekannt für seine Malereien und Fresken.

21Juli
2001

Engel auf Erden

Zu sechst quetschen wir uns in den Pajero, (Thiller im Kofferraum) und fahren zum Kloster Gelati, welches 2006 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wird. Nach einem kurzen Briefing durch Monika stöbern wir über das Gelände.

Einzelne Gebäude der Klosteranlage von Gelati. Oder ist es doch die Kirche von gestern? Für mich als Kulturbanause sehen die alle gleich aus...

Die folgenden Zeilen schreibe ich von Thillers Tagebucheintrag ab: Durch die offene Türe dringen Stimmen, angelockt schreite ich in den Kirchensaal, wo eine Handvoll Leute verstreut herumsteht. Plötzlich erschallt ein angenehm harmonischer Gesang, der sich mit einer Bassstimme sprechend abwechselt. Der Vorhang vor dem Altar öffnet sich und im gleissenden Sonnenstrahl steht der Priester. Der Chor besteht aus drei bildhübschen Frauen mit einem Mann als Begleitung. Noch nie ist mir eine Messe akustisch und optisch so unter die Haut eingefahren.

Wir überzeugen Thiller, doch nicht ins Kloster einzutreten und machen uns auf den Weg zurück nach Tiflis. Unterwegs besichtigen wir eine weitere Kirche sowie das Geburtshaus von Stalin mit Museum in Gori, zudem fahren wir an ein paar ausgebrannten Schützenpanzern aus dem Abchasienkrieg (1992-1993) vorbei. Ein kontrastreiches Programm heute.

Die ausgebrannten Schützenpanzer im linken Bild. Wir trauen uns nicht näher heran, nicht auszuschliessen dass noch ein paar Minen vergraben sind. Rechts Stalins persönlicher Eisenbahnwagen, der gegen Attentate gepanzert ist und über 80 Tonnen wiegen soll.

22Juli
2001

Tbilisi-Lake

Nach einem kurzen Einkaufsbummel fahren wir alle zum Tbilisi-Lake, einem künstlichen See im Norden von Tiflis, der als Wasserspeicher dient. Sauberes Wasser mit einzigartigem Farbkontrast; wir wundern uns, dass dieser nicht grad kleine See in keinem unserer Reiseführer erwähnt ist.

Zuvorderst auf einer Halbinsel machen wir uns breit, baden, bräteln Speck und deutsche Cervelats aus dem Glas, essen Melone und trinken Bier und Weisswein.

23Juli
2001

organisatorisches

Erst besuchen wir die Festung Nariqala und die Statue über der Altstadt, dann holen wir auf der Schweizer Botschaft unsere Pässe mit den Visa für Aserbaidschan und bedanken uns dafür mit ein paar Tafeln Schweizerschoggi. Ein Taxi bringt uns dann zum Büro des WWF, über den wir einen Trip nach Kachetien, den östlichsten Bezirk Georgiens, organisieren lassen wollen. Ursprünglich wollten sie in der Region etwas aufbauen, dann kam ihnen jedoch der Tschetschenienkrieg dazwischen.

Am Abend gehen wir mit Claude in Mzcheta essen. Mzcheta liegt ein paar Kilometer nördlich von Tiflis und war die damalige Hauptstadt des iberischen Reiches, einem Vorgängerstaat Georgiens. Bei einem Schaschlick in einem gemütlichen Gasthaus am Mtkwari erfahren nochmals einiges über seinen Trip nach Kirgistan vom letzten Juni.

24Juli
2001

Dawit Gareja

Monika nimmt sich erneut einen Tag Zeit für uns und zu dritt fahren wir nach Dawit Gareja, einem Höhlenkloster direkt an der Grenze zu Aserbaidschan.

Was, schon wieder eine Kirche!?

Halb so wild, bei dieser Anlage handelt es sich um ein einzigartiges, grossteils in Felsen gehauenes Felsenkloster in einer einmalig schönen wüsten/steppen-ähnlichen Landschaft. Nur ein ganz kleiner Teil davon ist wieder bewohnt, in seiner Blütezeit sollen bis zu 5000 Mönche hier gelebt haben. In einer gemütlichen, dreieinhalbstündigen Rundwanderung besuchen wir unzählige Ruinen mit uralten Malereien und Fresken. Leider haben die Sowjets diesen Felskamm als Zielhang für ihre Luftwaffe genutzt, wodurch vieles zerstört worden ist, trotzdem lässt sich das Ausmass dieser Anlage ungefähr erahnen.

In einem Reiseführer habe ich gelesen, dass es hier nur so von giftigen Schlangen wimmeln soll, daher bin ich trotz Temperaturen an der Vierzig-Grad-Grenze mit dicken Jeans und meinen schweren Scarpa unterwegs. Thiller hat das weniger beeindruckt und latscht in leichten Schuhen und noch leichteren Hosen durch die Gegend. Jedoch sind die einzigen Reptilien, die wir heute sehen, Riesen-Eidechsen, von denen wir aber auch beeindruckt sind.

  

25Juli
2001

Kochkurs

Nach langem Ausschlafen und einem gemütlichen Tag wird es am späten Nachmittag spannend: Rita, die Köchin aus Markus Büro, und ihre Schwester Svetlana führen uns in die Kunst der Chingali- und Chatschapuri-Produktion ein. Zuerst gilt es aber, die entscheidende Grundsatzfrage zu erörtern:

Warum in aller Welt wollen Männer kochen…?!

Bei beiden Speisen ist die Herausforderung die richtige Konsistenz des Teigs, damit man ihn füllen kann, zudem machen wir uns Gedanken, welcher Schweizer Käse sich wohl am besten für Chatschapuri eignet. Aber Thiller kann dann ja zu Hause pröbeln, bevor er mich zum Essen einlädt.

Zum Dessert gibt’s Fruchtsalat mit Melonen und Pfirsichen in Bacardi-Zucker-Zitronensaft-Sauce (je ein Drittel), zum Kaffee armenischen Cognac.

So lässt sich’s leben…

Chingali (links) und Chatschapuri

26Juli
2001

Ballenberg

Am Vormittag besuchen wir mit Christa und Martin das Tifliser Freilichtmuseum, also quasi den hiesigen Ballenberg, wo uns eine unmotivierte Mitarbeiterin durch die Entwicklung der georgischen Landwirtschaft und historische Gebäude führt. Die drei besichtigen anschliessend noch die Schatzkammer im Georgian National Museum, ich habe jedoch genug Kultur gehabt, bummle alleine durch die Stadt und fotografiere Menschen. Einige posieren stolz vor ihrem Kiosk, ein Sonnenblumenkernen-Grosi flippt aber komplett aus, als ich sie frage, ob ich sie fotografieren darf.

Am späteren Nachmittag treffen wir uns mit unserem Bergführer und kaufen gemeinsam Lebensmittel für den mehrtägigen Trip in den Kaukasus ein, der morgen startet. Ziel ist der Kasbek, mit etwas über fünftausend Metern der dritthöchste Georgier.

Am Abend packen wir und verabschieden uns von den anderen. Monika und Markus fliegen für ein paar Tage in die Schweiz - ihre Villa dürfen wir aber für unseren weiteren Georgienaufenthalt weiter in Beschlag nehmen - und Christa und Martin reisen weiter Richtung Aserbaidschan.

27Juli
2001

Die zweite Seuche

Um halb fünf rappelt der Wecker, ich mache Licht und will grad aufstehen, da tönts aus Nachbars Schlafsack: «Du, ich glaub ich bin krank.» Thillers heisse Stirne bestätig diese Diagnose. Wir rufen unseren Bergführer an, verschieben die Tour, löschen das Licht und pennen weiter.

Auch Christa und Martin hat’s erwischt. Während die Patienten regelmässig auf den Topf rennen, besteht mein Tagwerk im Einkaufen von Bananen, schwarzer Schoggi und WC-Papier. Am Abend schaut der Arzt vorbei.

Auch ich fühle mich schlapp, das liegt jedoch an der schon tagelang herrschenden elenden Hitze um die vierzig Grad bei hoher Luftfeuchtigkeit.

28Juli
2001

Hängertag

Trotz der Hitze verpenne ich den halben Tag. Thiller geht’s schon etwas besser, sein Verdauungsapparat arbeitet jedoch noch immer als effizienter (= schneller) Durchlauferhitzer. Am Nachmittag begleiten wir Christa und Martin zum Zug, welcher sie nach Baku bringen wird und am Abend gehe ich mit Monika ins Restaurant Graz, wo ich mir zum Dessert ein Stück … Sachertorte gönne.

Erneut verabschieden wir uns von Monika und Markus, die in der Nacht in die Schweiz fliegen werden.

29Juli
2001

Laguna Vere

Ich entfliehe der Hitze zumindest für kurze Zeit und gehe ins Laguna Vere. Wie der Name erahnen lässt, handelt es sich dabei um riesiges betonstrotzendes Schwimmstadion aus der Sowjetzeit, das seine besten Zeiten hinter sich hat. Reizvoll daran ist einzig die Wassertemperatur.

Nach dem Eintritt gibt’s einen medizinischen Check. Dazu zeigt man der Frau Inspektorin die Füsse und wenn diese zufrieden ist, bekommt man einen drei Monate gültigen medizinischen Pass. Ich habe Glück und darf rein.

Das Bad ist ziemlich voll. Auf einer Seite sitzen einige Georgier am Beckenrand, die laut prahlend Bier trinken, Sonnenblumenkerne kauen und die Schalen regelmässig ins Becken spucken. Zwischendurch spucken sie auch ohne Schalen. Ich schwimme daher hauptsächlich auf der gegenüberliegenden Seite.

30Juli
2001

Fahrt nach Lagodechi

Da Thiller noch immer etwas wacklig auf den Beinen ist, kommt die Kasbek-Tour noch nicht in Frage und wir ziehen den vom WWF organisierten Trip in den Osten vor. Georgie, ein rauchsüchtiger Fernsehregisseur, bringt uns in einer gemütlichen vierstündigen Fahrt mit seinem Lada Schiguli die 160 Kilometer nach Lagodechi, wo wir von unseren Gastgebern Nana und Vasha mit Familie freundlich empfangen werden.

Wir lernen Soso, unseren Guide für die nächsten Tage und Natia, die als Dolmetscherin fungieren wird, kennen. Zu fünft (Georgie kommt auch mit) machen wir eine erste kleine Wanderung entlang eines Baches, in dem ich mich kurz abkühle.

Beim Abendessen erweist sich Soso als deutlich trinkfester als ich, Thiller kann sich mit Verweis auf seinen labilen Magen drücken. Wir drei gehen danach noch ins Städtchen, wo wir Sosos Kolleginnen und Kollegen treffen und einen gemütlichen Abend verbringen.

Unsere Gastgeberfamilie mit Nana und Vasha (oben und unten am Tisch) sowie Soso im roten Hemd. Vor dem Foto rennen sämtliche Damen (inkl. der kleinen Tinatin und der Babuschka) vor den Spiegel.

31Juli
2001

Wasserfall

Nach einem kräftigen Frühstück, Soso will tatsächlich schon wieder einen Cognac mit uns trinken, machen wir uns zu viert auf den Weg und wandern entlang eines Baches auf einem wenig begangenen Pfad durch den Wald. Natia mit profilarmen Halbschuhen, ich mit meinen schweren Scarpa. Sie spricht sehr gut Deutsch und runzelt regelmässig wegen unserem Bauerndeutsch die Stirn - ihre Ausdrucksweise ist sehr viel gehobener und grammatikalisch um einiges korrekter als unsere, dafür verwendet sie teilweise recht antiquierte Ausdrücke. Diese Gegensätze führen zu witzigen Auseinandersetzungen.

Nach etwas mehr als zwei Stunden erreichen wir unser Ziel, den (Rocho?)-Wasserfall. Eingebettet in eine urwaldähnliche Landschaft könnte der etwa zehn Meter hohe Wasserfall einem Indiana Jones Film entsprungen sein. Das Wasser ist eiskalt, was die anderen an einem erfrischenden Bad hindert. Ich markiere den Helden und bleibe etwa zwanzig Minuten im Wasser, während Thiller auf den Scheitel des Wasserfalls klettert und dahinter noch einen zweiten entdeckt.

Auf dem Rückweg grillt Soso ein leckeres Schaschlik und wärmt auf den Steinen der Feuerstelle Chatschapuri auf, dazu trinken wir Rotwein aus Kuhhörnern. Ich würde gerne ein Foto von uns allen machen, aber Natia weigert sich: so verschwitzt lasse sie sich garantiert nicht fotografieren…

01August
2001

Meteo Station Nr. 1

Ich wache um halb sieben auf und mache eine Erkundungstour. Es donnert und bald darauf setzt Regen ein, darum ich gehe zurück und empfehle weiterschlafen. Gegen zehn drückt die Sonne durch und kurze Zeit später befiehlt Vasha: Essen! Packen! Abmarsch!

Und dann passiert das, wovor ich mich schon vor Reisebeginn am meisten gefürchtet habe: im Park warten drei gesattelte Pferde auf uns.

Nach einem kurzen Intermezzo mit einem Fohlen, das (wie ich) wieder zurück in den Stall will, reiten wir mit Soso vier Stunden durch den schönen, grossteils unberührten Lagodechi National Park zu unserem Ziel, einer Meteo Station, die als Berghütte genutzt wird. Gemäss meiner Sowjetischen Generalstabskarte, die ich vor der Reise in einem Onlineshop erstanden habe, liegt diese Hütte auf knapp 1940 m.ü.M. Kurze Pause zur Entlastung der geschundenen Knochen, insbesondere des Steissbeins, kleine Stärkung und dann bewaffnen sich Soso und ich mit einem Feldstecher und gehen zu Fuss auf Wildsuche. Es soll hier Bären, Wölfe, Luchse, Steinböcke, Wildschweine, Gemsen und Hirsche geben. Natürlich sehen wir kein einziges Tier, stattdessen hören wir vier kurz aufeinanderfolgende Gewehrschüsse. Wilderei sei trauriger Alltag im Nationalpark.

Thiller steigt alleine bis zu einem Grat hoch und hat mehr Glück: es raschelt etwas im Gebüsch, er sieht etwas braunes, felliges - aber der vermeintliche Bär entpuppt sich «nur» als Wildschwein. Dafür schwärmt er von der herrlichen Aussicht.

Nach dem gemütlichen Essen mit einem Kondensmilch-Dessert gönnen wir uns einen Krummen zu Ehren des Schweizer Nationalfeiertages.

 

02August
2001

Abstieg und Rückreise nach Tiflis

Thiller macht vor dem Frühstück noch einen kleinen Ausritt. Nach dem Frühstück wollen wir Soso helfen die Hütte wieder auf Vordermann zu bringen, was er aber nicht zulässt. Also schnappe ich mir erneut einen Feldstecher, suche die gegenüberliegenden Hänge ab und entdecke immerhin ein paar Steinböcke.

Zu meinem Glück bewältigen wir den grössten Teil des Abstieges nach Lagodechi zu Fuss. Zurück bei Nana und Vasha erwartet uns ein riesiges Festessen, wo wir wieder einmal zu viel essen und sicher nicht zu wenig trinken. Georgie, der uns anschliessend wieder gemütlich nach Tiflis chauffiert, ist auch schon wieder da und zusammen mit Natia, die uns zum Abschied eine Flasche Tschatscha und Nüsse schenkt, machen wir noch eine kurze Stadtrundfahrt.

Zurück in der Tifliser Betlemi Street erwartet uns als spätabendliche Überraschung ein geplatzter Boilerschlauch, der uns noch eine Stunde Arbeit beschert.

Frisch herausgeputzt wagt sich endlich auch Natia vor die Linse und erlaubt mir sogar, die Portraitfunktion meines Fotoapparates auszuprobieren. Betreffend Bildqualität verweise ich auf einen früheren Eintrag über mein nicht ganz so Advanced Photo System. Links Georgie unser Chauffeur neben Natia, rechts Soso und vorne wir beide in unserer Standard-Kluft mit leichten Kletterhosen und T-Shirt.

03August
2001

Hängematte

Dieses Foto dokumentiert unseren heutigen Tagesablauf recht gut. Zwischendurch gehen wir einkaufen und am Abend in ein Restaurant essen; später noch in ein Pub mit Live-Musik wo Thiller beinahe durchdreht, weil die Band Sunny Afternoon von The Kinks spielt.

04August
2001

Auf der Heeresstrasse nach Kazbegi

Am Vormittag ein kurzer Besuch in einem Internetcafé, um den Zuhausegebliebenen von unserer bisherigen Reise zu berichten, anschliessend erneutes Packen für die Kasbek-Tour. Am Nachmittag holt uns unser Bergführer Gia ab und gemeinsam fahren wir auf der historischen Heeresstrasse, die schon seit Jahrtausenden von Soldaten und Händlern genutzt wird und zeitweise den Eindruck vermittelt, als wäre sie seit der ersten Begehung nie mehr saniert worden, Richtung Norden.

In der Nähe von Gudauri, dem Wintersportort Georgiens mit einem Sporthotel, das genau so gut im Tirol stehen könnte, machen wir Pause. Gudauri ist Gias Arbeitsort während der Heliskiing-Saison, er kennt dadurch einige Haslitaler-Bergführer und über diese Verbindung sind wir auch auf ihn gestossen. Zudem erfahren wir, dass seine Frau hochschwanger ist und jederzeit ihr zweites Kind zur Welt bringen kann, was eine gewisse Nervosität seinerseits zur Folge hat. Er wird aber rechtzeitig zur Geburt zurück sein.

Nach der Pause fahren wir weiter über den Kreuzpass bis Kazbegi, einem Städtchen nahe der russischen Grenze, wo wir uns in einer einfachen Pension einquartieren.


Oben: Impressionen von der Heeresstrasse mit unserem Restaurant in der Nähe von Gudauri. Unten: Unser Ziel, der Kasbek (5047m), ein erloschener Vulkan, der schon in der griechischen Mythologie eine Rolle gespielt haben soll. Links davon die Gergetier Dreifaltigkeitskirche, die das Cover ungefähr jedes einzelnen Georgien-Reiseführers ziert.

Nachfolgend noch ein Auszug aus meinem vormittäglichen Mail mit einem Rückblick auf unsere bisherigen Georgien-Erfahrungen und der Begründung, warum ich Georgien als Land der Gegensätze betitelt habe:
Sehr gegensätzlich ist schon nur das Land selbst. Schönste Strände am Schwarzen Meer und zahlreiche Vier- und Fünftausender im Kaukasus, fruchtbare Gegenden im ganzen Land und wüsten-/steppenähnliche Gegenden im Südosten, gebirgige Waldlandschaften (die ans Hasli erinnern) im Norden und eher tropisch anmutende, endlos grosse Wälder im Osten.
Auch die vielbesungene georgische Gastfreundschaft ist voller Gegensätze. In der Öffentlichkeit wird gerempelt; sowohl zu Fuss als auch im Strassenverkehr gilt das Recht des Stärkeren, man schreit sich lieber an statt sich zu grüssen. Ist man aber bei einer Familie zu Gast, ist alles wie verwandelt. Es wird alles getan, damit es dem Gast gut geht, die Frau stellt sich in die Küche und die Männer setzen sich mit dir an den Tisch und das Gelage geht los.
Ebenso herrschen zwischen dem öffentlichen und privaten Leben grosse Unterschiede. Alles Eigene, das Haus, das Auto, ist heilig, dazu wird geschaut, geputzt, verbessert und verschönert. Für die öffentliche Infrastruktur scheint jedoch niemand verantwortlich zu sein. Schachtdeckel, Strassenlampen, Stromleitungen - kaputt ist kaputt, geflickt wird nichts.
Sehr gegensätzlich ist auch das Modebewusstsein: während sich die Frauen auch mit bescheidenen Mitteln herausputzen und sehr eitel sind - will man eine Gastfamilie fotografieren, rennt die sechsjährige Tochter genauso vor den Spiegel wie die 80jährige Babuschka - trägt der Mann meist abgetragene Trainerhosen und verschwitzte Hemden. Übrigens wiegt der durchschnittliche Georgier so um die 120 Kilo, was insbesondere bei Polizisten am Strassenrand sehr ästhetisch wirkt, wenn deren Wampe zwischen Hosen und Hemd heraushängt.

05August
2001

Meteo Station Nr. 2

Ich habe dank des kühleren Klimas so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr. Nach dem Frühstück fahren wir noch ein paar wenige Kilometer bis Gergeti auf etwa 1800 m.ü.M. Mit ordentlich viel Gepäck starten wir unseren Aufstieg, vorbei an der Gergetier Dreifaltigkeitskirche und über Alpen mit Schaf- und Rinderherden bis zur Zunge des Gergetigletschers. Begleitet werden wir von einer dreiköpfigen Adlerfamilie und Spalte, einem Hund aus Gergeti, der seinen Namen bekommen hat, weil er mal vier Tage in einer Gletscherspalte verbringen musste.

Über den Gletscher geht’s weiter bis zu einer ehemaligen Meteo Station auf 3652 m.ü.M., die heute als einfache Berghütte dient. Die Aussage von Gia, dass wir not to bad unterwegs gewesen seien, stimmt uns zuversichtlich für die nächsten Tage. Wir beziehen unser Zimmer, essen Suppe und Fertigrisotto, lagern für den Rest des Tages die Beine hoch und geniessen das Panorama.

Die Hütte ist sehr spartanisch eingerichtet. Die Matratzen bieten den Komfort von Spanplatten, es hat zwei Gaskocher, ein paar wenige Kerzen und ein Stromgenerator, der aber nicht in Betrieb ist. Es sind auch ein paar andere Gäste hier.

   
  

Gia unser Guide (man beachte das Logo auf seiner Jacke), ich mit unserem vierbeinigen Begleiter und Thiller beim Abschmecken des Fertigrisottos.

06August
2001

Akklimatisationstour

Kurz nach neun Uhr machen wir uns auf die hier übliche Akklimatisationstour und erreichen bei gemütlichem Aufstieg um die Mittagzeit den etwa 4200 Meter hohen Gipfel Ori irgendwas (Zwei Gipfel). Ori heisst zwei, was wir von ori ludi (zwei Bier) her kennen, was Gipfel heisst haben wir uns hingegen nicht gemerkt.

Zurück bei der Hütte essen wir eine Suppe und versuchen etwas vorzuschlafen, immerhin wird morgen um zwei Uhr Tagwache sein. Ich habe, vermutlich wegen der Höhe, ziemlich Kopfweh und mache fast kein Auge zu. Gegen 20 Uhr noch einmal Risotto essen, packen und der nächste Schlafversuch. Aber auch der scheitert kläglich, diesmal liegt es aber an den feiernden Georgiern, dem dazu ratternden Strom­aggregat und den beiden Israelis in unserem Zimmer, die mit einer Kerze beinahe die Hütte abfackeln. Kurz vor Mitternacht fängt auch noch einer an, Holz zu spalten…

Gipfelbild vom Akklimatisations-Hubel und rechts der Gergetigletscher (mit Spalten und Spalte), dem wir morgen bis in den Sattel folgen werden.

07August
2001

Bergpreis!

Und dann zieht auch noch ein Gewitter auf - haben wir etwas schon wieder Wetterpech?!

Um zwei Uhr erkundet Thiller die Lage und kommt zuversichtlich zurück, es sehe nach Besserung aus. Eine gute Stunde später starten wir. Erst über die Moräne und dann bei einzigartiger Fast-Vollmond-Stimmung dreieinhalb Stunden über den Gergeti-Gletscher bis in den ersten Sattel auf geschätzten 4500 Metern. Der Gletscher ist leicht überschneit, Gia kennt aber den Weg und die riskanten Stellen, immerhin war er schon rund 60 Mal auf dem Kasbek. Er will, dass wir schnell vorankommen und gönnt uns erst hier eine Pause und einen ersten Schluck Tee - zum Glück habe ich in paar Notfallriegel griffbereit in der Jackentasche!

Dann traversieren wir einen endlos scheinenden Hang, bis wir nach zwei weiteren Stunden den nächsten Sattel auf knapp 5000 m.ü.M. erreichen. Warum machen wir für die letzten knapp 50 Höhenmeter noch einmal Pause?

Das merke ich gleich, denn diese letzten Höhenmeter mit einer 45° steilen Eiswand haben es in sich und verlangen noch einmal alles von mir ab, die Luft ist schliesslich schon recht dünn.

Dann, nach etwas mehr als sechs Stunden Aufstieg, erreichen wir den Gipfel des Kasbek auf 5047 m.ü.M. Und wir haben Glück mit dem Wetter, es ist zwar leicht dunstig und der Elbrus, der höchste Kaukasier, lässt sich nur erahnen, aber es könnte schlimmer sein, denn der Kasbek steckt häufig in dichtem Nebel.

Gia gönnt uns gerade Mal zwanzig Minuten auf dem Gipfel - wir stehen da übrigens genau auf der Grenze zwischen Russland und Georgien - er will, dass wir die riskanten Stellen hinter uns haben, bevor es wärmer wird und die Steinschlaggefahr zunimmt. Wir nehmen auch noch einen Deutschen ans Seil, der kurz nach uns allein und schlecht ausgerüstet den Gipfel erreicht. Aber erst bekommt er noch einen ordentlichen Anschiss von Gia über seine Leichtfertigkeit.

Nach sehr zügigem Abstieg sind wir um zwei Uhr zurück bei der Hütte und kurz darauf beginnt es zu hageln. Eine warme Suppe mit Brot, Haslibärger Alpchäs und Gumpesel, bevor wir uns in die Schlafsäcke verziehen, wo es endlich auch mit Schlafen klappt.

08August
2001

Zurück in der Hitze

Zeitig steigen wir ab. Selbst über die Gletscherzunge brauchen wir Steigeisen, was Gia bisher noch nie erlebt hat, aber da es die beiden letzten Nächte viel geregnet hat, ist der Gletscher blank. Kurz vor Gergeti werden wir noch Zeugen eines dubiosen Benzinhandels; das Schmugglerhandwerk scheint zu blühen in dieser Region.

Dann fahren wir zurück nach Tiflis, nicht ohne unterwegs mal wieder etwas rechtes zu essen. Mit jedem Meter wird es wärmer und wärmer. In Tiflis verabschieden wir uns von Gia, höhlen die Flasche Schämpis, die uns Christa und Martin zur Kasbek-Belohnung zurückgelassen haben und essen dazu eine aus Lagodechi mitgebrachte Melone.

Im Abstieg noch einmal an der Gergetier Dreifaltigkeitskirche vorbei.

09August
2001

Hitzefrei

Die Hitze macht uns zu schaffen. Wie angenehm waren doch die Temperaturen in der Höhe und wir würden dafür ohne zu zögern wieder harte Isomatten und lärmende Gäste in Kauf nehmen. Aber es soll in den nächsten Wochen nicht anders werden, denn morgen machen wir uns auf den Weg Richtung Osten.

Ohne Programm dösen wir den meisten Teil des Tages vor uns hin. Zwischendurch gehen wir einkaufen, um den Kühlschrank und den Klopapiervorrat unserer Gastgeber zumindest halbwegs wieder aufzufüllen. Unsere durchgemachten Seuchen haben sich nicht rentiert, kostet doch WC-Papier weicher als 50er-Schleifpapier ein halbes Vermögen.

Am Abend treffen wir uns noch einmal mit Claude, der uns Bilder seiner Reise zeigt und uns weitere gute Ratschläge, insbesondere im Zusammenhang mit Ticketbuchungen und Zollformalitäten, gibt. Die Vorfreude auf die nächsten Wochen steigt. Anschliessend futtern wir uns noch einmal quer durch die georgische Küche.

10August
2001

Aufbruch!

Nach etwas mehr als einem Monat verlassen wir heute Georgien und somit auch unser «Basislager» in der Betlemi Street. Aber zuerst ist natürlich Packen angesagt und das dauert seine Zeit. Die Kühlbox und ein paar andere Sachen können wir da lassen und die Bergausrüstung nehmen Monika und Markus bei ihrem nächsten Heimatbesuch mit in die Schweiz, trotzdem bleibt noch einiges übrig, was wir in unsere Rucksäcke und Reisetaschen verstauen und mitschleppen müssen.

Mitte Nachmittag lassen wir uns zum Bahnhof fahren und kaufen unsere Billette für den Nachtzug nach Baku direkt beim Kondukteur - das kommt uns billiger und er hat auch etwas davon.

Mit rund anderthalb Stunden Verspätung fährt der Zug ab. Unser Abteil ist sehr komfortabel und der Zug fährt ruhig, aber die Hitze macht uns zu schaffen. Der Schlafwagenbetreuer versichert uns, dass es ab der Grenze besser werde, da können sie die Klimaanlage einschalten. Warum das nicht schon jetzt geht, entzieht sich unserem Verständnis. Er serviert uns Tee, den er direkt im Wagen in einem Samowar mit Feuer (!) kocht.

Der Nachtzug nach Baku vor der Abfahrt in Bahnhof von Tiflis und unser Schlafwagenbetreuer vor seinem mit Feuer beheizten Samowar.

Wir schmachten zwei Stunden am Zoll, bis es endlich weiter geht und es wird tatsächlich kühler. Bevor wir uns hinlegen und tief schlafend quer durch

ASERBAIDSCHAN

Richtung Baku fahren, gönnen wir uns noch ein Glas Rotwein.

Visa für Aserbaidschan, ausgestellt in der Botschaft in Tiflis.

11August
2001

Abşeron

Um halb zehn kommen wir in Baku an und lassen uns nach einer mühsamen Preisdiskussion zum Hotel Absheron fahren, wo wir uns im 15. Stock einquartieren. Für 20 Dollar bekommen wir ein einfaches Zimmer in diesem wuchtigen Sowjet-Klotz. Dann frage ich mich nach Anar durch, dem Manager-Stellvertreter für die 9., 11., 13. und 14. Etage. Christa und Martin haben für uns einen Stadtplan und eine Empfehlung für eine Besichtigungstour hinterlegt, die wir grad bei ihm buchen können. Es geht sofort mit Fahrer und Guide los.

Zuerst besuchen auf der Abşeron-Halbinsel den Feuertempel Ateschgah aus dem 17. Jahrhundert. In der Mitte eins Gebäudes brennt ein Feuer, welches durch natürlich austretendes Erdgas gespeist wird. Der zweite Stopp gilt einer alten Befestigungsanlage mit einem recht hohen Wachturm, anschliessend erbetteln wir uns eine Pause am Meer, wo wir uns in die Fluten stürzen. Zwischendurch fahren wir immer wieder an riesigen Salzseen vorbei, ebenso an zahlreichen Ölfeldern, wo unsere beiden Begleiter wenig Verständnis aufbringen, dass wir auch diese fotografieren wollen.

Nächstes Ziel ist der Yanar Dağ (brennender Berg), ein Hügel, wo auf einer Breite von zehn, zwölf Metern ein natürliches Erdgasfeuer brennt. Solche Feuer soll es hier seit dem Altertum geben und Marco Polo habe diese auch schon besucht, erfahren wir. Dann verlassen wir die Halbinsel und fahren in den Süden nach Qobustan, wo es steinzeitliche Felsenmalereien zu sehen gibt. Uns erstaunt vor allem, dass wir uns hier frei bewegen können und die Anlage nicht geschützt ist, solche Malereien müssten doch einen gewissen historischen Wert haben.

Auf die vom Reiseführer empfohlenen Schlammvulkane müssen wir hingegen verzichten, die Strasse dorthin sei in einem zu schlechten Zustand. Wir haben aber eher den Verdacht, dass unsere zwei Begleiter keinen Bock mehr haben.

Am Abend gehen wir mit Anar in ein kitschiges türkisches Restaurant essen und lösen anschliessend in einem Pub das Fett in unseren Mägen mit einem Whisky auf. Wir geniessen die hell beleuchtete Stadt mit Grossteils intakter Infrastruktur - welch ein Gegensatz zu Tiflis.

 
  

Oben: Ölfelder und Bohrtürme prägen einen Grossteil der Abşeron-Halbinsel.
Mitte: Yanar Dağ, der brennender Berg und daneben der Feuertempel.
Unten: einer der Salzseen und die Höhlenmalereien

12August
2001

Altstadt von Baku

Ein scheues Klopfen an der Zimmertüre weckt uns und die Etagendame will wissen, ob alles in Ordnung ist und ob wir noch länger bleiben. Es ist 13 Uhr.

Nach einem späten Frühstück besteigen wir als erstes den Qız Qalası, den Jungfrauenturm in der Altstadt und geniessen die Aussicht über die Stadt und das Kaspische Meer. Beim anschliessenden Schlendern durch die Altstadt fangen uns zwei Teppichhändler ab und laden uns zu einem Tee ein. Sie schätzen mich als Südafrikaner ein und Thiller als Schotten; überhaupt ergeben sich heitere Gespräche und es tut uns fast leid, dass wir den beiden keinen Teppich abkaufen können. Aber das würde unsere bereits voll ausgelasteten Gepäckkapazitäten bei weitem übersteigen - und einen Teppich brauchen wir sowieso grad nicht.

Gegen Abend gehen wir zum Hafen, um uns über die Fahrtmöglichkeiten über das Kaspische Meer zu informieren. Gemäss Claudes Tipp wenden wir uns direkt an den Polizisten bei der Hafeneinfahrt und tatsächlich ist Emil, der Barrierenpolizist, bereit dazu, uns für eine Provision von 50$ etwas zu organisieren. Wir sollen morgen nach dem Mittag wieder vorbei kommen. Und weil er sowieso grad Feierabend hat, gehen wir mit dem Aseri noch ein Bier trinken.

Beim Abendessen in einem mit Feigenbäumen beschatteten Innenhof und einem anschliessenden Bier in einer Gartenbeiz in der Fussgängerzone ergeben sich einige interessante Gespräche mit Einheimischen und Touristen. Nicht nur der Zustand der Infrastruktur, auch der menschliche Umgang in der Öffentlichkeit hat sich seit Tiflis deutlich zum Besseren gewandelt.

Der Jungfrauenturm in der Altstadt und der spätabendliche Blick aus dem Hotelzimmer: ...es ward Licht

13August
2001

Fahrt über das Kaspische Meer

Thiller wacht sehr früh auf, weil sein Körper nach Futter schreit (das tut der eigentlich immer), meiner hingegen will noch schlafen. Nach einem Sonnenaufgangsfoto vom Hotelbalkon aus bestellt er bei den Etagendamen ein Frühstück und bekommt natürlich zwei Portionen. Als ich aufwache, sind beide weg.

Am Vormittag schlendern wir erneut durch die Altstadt und bestaunen den Palast der Schirwanschahs, ein riesiger Komplex mit grossen Kuppeln und Portalen, bei denen der muslimische Einfluss deutlich sichtbar ist. Dann lassen wir uns mit einem alten Wolga zum Hafen bringen, wo Emil bereits auf uns wartet. Er hat eine Fähre für uns organisiert, die am Abend ablegen soll. Wir verhandeln mit dem Kapitän über den Preis für die Überfahrt und mit einem Matrosen über die Konditionen, zu denen wir seine Kajüte nutzen dürfen. Die Fährgesellschaft verdient vermutlich nicht sehr viel an uns.

Wir beobachten das Verladen von Eisenbahnzügen und staunen, wie viele davon Platz auf dieser Fähre haben. Früher als geplant stechen wir in See und wir beziehen dann unsere leicht schmuddelige Kabine, die aber immerhin eine eigene Dusche hat. Die Vorfreude auf eine erfrischende Dusche wird aber mit einem Blick in die Duschtasse getrübt: diese ist Schwarz vor lauter Kakerlaken. Im Anschluss bekommen wir eine Schiffsführung und besichtigen Brücke und Motorraum.

Neben uns sind noch zwei weitere Passagiere an Bord: Leyla, eine türkische Künstlerin und Ahmed auf Geschäftsreise. Mit ihnen und Ichtiar, unserem Kabinenvermieter, verbringen wir den Abend auf Deck mit Abendessen, Bier, Rotwein, Backgammon, Sonnenuntergang und Sternegucken. Herrlich.

   
 

Ober das erwähnte Sonnenaufgangsfoto, daneben der Schirwanschah-Palast, unten links ein Foto mit Emil, dem Hafenpolizisten und rechts mit Ichtiar, Ahmed und Leyla auf der Fähre.

14August
2001

Einreise in Turkmenistan

Nach einer angenehmen Nacht auf See fahren wir in den Hafen von Turkmenbashi ein. Dieser liegt in einer riesigen Lagune, die von unzähligen zweimetrigen und armdicken Wasserschlangen bewacht wird, welche wir von der Fähre aus gut erkennen können. Baden könnt ihr heute ohne mich.

Nach dem Anlegen folgt die Zollkontrolle und da wird das Verwandtschaftsverhältnis der Turkmenen mit den Türken offensichtlich. Eine Zöllnerin, die hier wohl das Sagen hat, durchsucht unser Gepäck, mit grimmiger Miene zeigt sie auf jedes einzelne unserer Gepäckstücke und fordert «open!» und «dawai!». Um das Prozedere abzukürzen, verteilen wir grosszügig Marlboro-Päckli und Villiger-Stumpen. Das zieht zwar weitere Zöllner an, die Dame beeindruckt das aber weniger - nicht mal Schoggitafeln lassen sie erweichen - und nach einiger Zeit liegt unser sämtliches Gepäck gleichmässig verteilt auf den Tischen der Zollstube, inklusive miefiger Schmutzwäsche, in der sie herumwühlt.

Anderthalb Stunden später ist das endlich geschafft, wir bekommen unsere Einreisestempel, packen unser Hab und Gut wieder ein «dawai!» und sind endlich in

TURKMENISTAN.

Einfahrt in den Hafen von Turkmenbashi und unser schwerverdientes Turkmenistan-Visa mit dem schwerverdienten Einreisestempel.

Wir lassen uns inklusive Leyla, die sich uns mehr oder weniger ungefragt anschliesst, von Ichtiar zu einem Hotel fahren, wo das Einchecken ähnlich kompliziert ist wie der Grenzübertritt. Die auszufüllenden Formulare haben noch einen CCCP-Briefkopf, obschon Turkmenistan (wie alle anderen zentralasiatischen Staaten auch) jetzt schon seit bald zehn Jahren unabhängig ist.

Für fünf Dollar bekommen wir ein leider nicht ganz Kakerlaken-freies Zimmer, danach gehen wir mit Ichtiar essen, wechseln Geld und fahren zum Strand von Awaza, dem Badestrand Turkmenistans. Mehr als am Strand herumhängen kann man bei dieser Hitze sowieso nicht tun und sogar ich wage mich zur Abkühlung ins Wasser - von einer Schlange gefressen zu werden sehe ich inzwischen als das kleinere Übel.

Die Turkmenen sind sehr freundlich, interessiert und gesprächig. Und alle wollen sich fotografieren lassen - sehr oft tun wir dabei aber nur so als ob, sonst wäre unser Filmvorrat schnell erschöpft. Am Abend essen wir Schaschlik (Fleisch/Fisch-Mix) in einer Strandbar, dazu ukrainisches Bier und gegen Mitternacht lassen wir uns von einem Taxi zum Hotel fahren.

Der Strand von Awaza mit dem wohl effizientesten Grillmeister aller Zeiten. Unglaublich, welche Mengen an Fisch/Fleisch-Schaschlik der in kürzester Zeit mit wenig Platz und Infrastruktur produziert.

15August
2001

Awaza zum Zweiten

Kurz vor neun sind wir bei der Busstation und kaufen drei Tickets für umgerechnet etwa je zwei Franken für den Elfuhrbus nach Aşgabat, der turkmenischen Hauptstadt. So haben wir noch Zeit für ein Frühstück. Um halb elf sind wir mit Sack und Pack wieder zurück, der Bus ist aber schon weg…

Dann halt wieder an den Strand von Awaza, wo es vor allem über die Mittagszeit unerträglich heiss wird. Immer wieder gesellen sich Leute zu uns, mit denen wir uns unterhalten. Ein bisschen Russisch verstehen wir inzwischen, teilweise verstehen sie etwas Englisch und vereinzelt sogar ein paar Brocken Deutsch, weil sie während ihres sowjetischen Militärdienstes in Ostdeutschland stationiert waren. Die Gespräche fangen praktisch immer gleich an:
   Wie heisst du?
   Woher bist du?
   Bist du verheiratet?
   Warum nicht?

Die frühe Frage nach dem Verheiratetsein war anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, hat aber einen plausiblen Hintergrund. Eine Heirat bringt beide in eine neue zusätzliche Familie und erweitert so das Beziehungsnetz, was hierzulande fürs tägliche Leben entscheidender ist als die Arbeit. Und wenn wir dann doch einmal über unsere Berufe reden, hören wir nicht selten ein bewunderndes «Oh, Incheniör?!» und plötzlich redet man über (und mit) Töchter im heiratsfähigen Alter. Das Thema flacht aber jeweils schnell ab, wenn herauskommt, dass wir schon um die dreissig sind - in dem Alter noch nicht verheiratet, da ist definitiv was nicht ganz sauber mit den beiden.

Nicht ganz sauber ist auch der auf Lebzeiten «gewählte» turkmenische Staatschef, auch wenn das hier natürlich niemand sagen würde. Zwar merken wir wenig, dass es dem Volk schlecht geht, aber in Wahrheit leben die Menschen hier in einer Diktatur mit einem Narzissten als Chef, der sich selber Turkmenbashi («Führer der Turkmenen» - nach ihm ist auch die Hafenstadt am Kaspischen Meer umbenannt worden) nennt. Übel ist auch der verordnete Personenkult um ihn und bereits am zweiten Tag verspüren wir so etwas wie Verfolgungswahn: auf jeder Banknote, an jedem öffentlichen Gebäude, hinter jedem Schalter, an jeder Reception, in jedem Taxi - praktisch überall grinst uns seine Visage entgegen. Seine Propagandaparole «HALK, WATAN, TURKMENBASHI» (Volk, Land, Präsident), die an vielen Gebäuden prangt, liest er selbst auf jeden Fall rückwärts, denn er kommt garantiert immer an erster Stelle. Um das Volk bei Laune zu halten, gibt es ein paar Vergünstigungen. Benzin kostet fast nichts und Gas bekommen die Leute teilweise gratis, was dazu führt, dass in den meisten Küchen der Gasherd nonstop brennt, denn so müssen sie keine Zündhölzer kaufen. Beides stammt natürlich aus den eigenen, vermutlich gigantischen Erdöl- und Erdgasvorkommen.

Fürs Abendessen suchen wir erneut eine Strandbar auf und freunden uns mit David, dem Sohn der Besitzer, an. Er lädt uns ein, direkt hier zu übernachten und nach Schaschlik, Salat, Tee und Bier legen wir uns auf einer Veranda nahe am Meer schlafen. Wenigstens kühlt es in den Nächten jeweils ordentlich ab.

16August
2001

Ludmilla (und) die turkmenische Wüste

Um sieben ist Tagwache. David, Leyla und Thiller wollen ins Meer, ich hingegen nicht, denn ich habe die Wassermonster noch nicht vergessen. Und jetzt, wo mangels anderer Badegäste die Futterauswahl für die Viecher beschränkt ist, muss es erst recht nicht sein.

Sie überleben es und nach einem Frühstück mit richtiger Konfitüre, einer Rarität hier, machen wir uns auf dem Weg zum Busbahnhof. Erst versorgt uns David aber noch mit Proviant (Kartoffel und Eier) und wir müssen traditionsgemäss unbedingt noch Geschenke tauschen. Er schenkt uns ein Feuerzeug für die Weiterreise und Thiller bekommt einen Ring, wir schenken ihm mangels Alternativen ein paar Päckli Marlboro und Villiger aus unserem Vorrat zur Beschleunigung administrativer Prozesse. Leyla hilft uns aus der Verlegenheit und schenkt ihm ein selbstbemaltes T-Shirt.

Abschiedsfoto mit David am Strand von Awaza

Diesmal ist der Bus noch da, aber hoffnungslos überfüllt. Und weil heute kein zweiter mehr fährt und wir terminlich etwas in Zugzwang geraten (wir haben nur ein Transitvisa für wenige Tage), entschliessen wir uns, ein Taxi zu nehmen. Die Angebote beginnen bei 70 Dolari (US-Dollar ist die Universalwährung) und purzeln rasch runter auf 40. Dann kommt - «Sie isch jung, sie isch schön, sie isch schtarch, sie isch gschyd...» - Ludmilla und bietet 30. Zumindest stark ist sie auf jeden Fall: grösser als ich (plus Absätze), breiter als Thiller und ich zusammen und eingenebelt in eine süsslich-schwere Duftwolke. Wir schlagen ein, wuchten unser Gepäck in ihren Schiguli, sie klemmt sich hinters Steuer, ich auf den Beifahrersitz und die kurzbeinigeren Zwei auf die Rückbank. Noch schnell für umgerechnet etwas mehr als einen Franken vollgetankt und einen Reservekanister gefüllt und los geht’s: mit Bleifuss und lärmendem russischen Techno in Endlosschleife aus dem scheppernden Radio fast 600 Kilometer Richtung Aşgabat, Grossteils durch die turkmenische Wüste bei Temperaturen gegen 45 Grad.

Die malerische Landschaft, Nomaden mit ihren Jurten, wilde Kamele und ein weit entfernter Sandsturm schreien nach einem Fotostopp. Ludmilla hingegen schreit «Njet» und gibt uns zu verstehen, das sei bei diesem Preis nicht drin. Wir fahren auch an einigen stehengebliebenen Bussen vorbei und sind uns einig, dass die Alternative mit dem Taxi trotz allem gar nicht so schlecht war. Um 18 Uhr kommen wir in Aşgabat an und sie will noch zusätzliche 3$ für das viele Gepäck. Eigentlich wollten wir ihr sowieso einen Zehner Trinkgeld geben, weil sie aber zu verhandeln beginnt, geben wir ihr fünf und alle sind zufrieden. Noch eine kräftige Umarmung, ein schnelles Foto und weg ist sie.

Wir suchen uns ein Hotel und kommen dem Bedürfnis nach einer ausgiebigen Dusche nach, anschliessend noch ein erster kurzer Stadtbummel, bevor wir uns völlig erledigt zeitig in die Horizontale werfen.

Ludmilla und ihr Lada Schiguli

17August
2001

Aşgabat

Als erstes gehen wir zum Bahnhof und kaufen Tickets für die Weiterfahrt. Weil wir so viel Gepäck haben und die Billette so gut wie nichts kosten, wollen wir vier Plätze für drei Personen buchen. Das übersteigt das Vorstellungsvermögen des Schalterbeamten und nur dank der Hilfe von Mergen, mit dem sich Thiller in der Warteschlange angefreundet hat und der behauptet, das vierte Ticket sei für ihn, klappt es auch.

Danach besuchen wir die monumentale Parkanlage im Stadtzentrum und staunen über die endlosen Bewässerungsanlagen, die den Park mitten in der Wüste grün halten. Dort steht auch der 75 Meter hohe Neutralitätsturm mit einer zwölf Meter hohen goldenen Statue von Präsident Saparmyrat Turkmenbashi oben drauf, die sich immer der Sonne nach dreht. Von der Plattform dieses Towers aus hat man eine einzigartige Aussicht über die gesamte Anlage, auf das Earthquake Memorial (erinnert an ein verheerendes Erdbeben von 1948 mit über 100’000 Toten) und andere Statuen, Gebäude und Plätze.

Der Neutralitätsturm mit Statue und der Blick von dessen Plattform in den surreal wirkenden Park; rechts am unteren Bildrand das Earthquake Memorial.

Nachmittags sind wir wieder beim Bahnhof und nehmen Platz in unserem Zugsabteil neben einer sympathischen Familie. Durchs Fenster beobachte ich das farbenfrohe Treiben am Bahnhof und entscheide mich, noch einmal rauszugehen und ein Foto davon zu knipsen. Zur besseren Übersicht steige ich auf einen Sockel, hebe meine Kamera und … da höre ich jemanden schreien. Ein Mann kommt wild gestikulierend auf mich zu und in dem Moment macht es Klick bei mir (nicht in der Kamera): Bahnhöfe sind militärstrategisch hochsensible Objekte, die man nicht fotografieren darf. Blöder Anfängerfehler, davor wir in jedem Reiseführer gewarnt. Der Mann reisst an mir und meiner Kamera rum und schreit etwas von Polizei, ich schüttle ihn aber ab und gehe von ihm verfolgt zurück in unseren Wagen. Dort fassen die anderen Reisenden schnell auf wo das Problem liegt, reden auf den hyperventilierenden Denunzianten ein und drängen ihn wieder hinaus. Kurz nachdem der Zug losgefahren ist, stehen zwei Bahnpolizisten bei uns und deuten uns, mitzukommen. Thiller geht vor und ich schaffe es gerade noch, heimlich den Film zu wechseln und einen leeren einzulegen. In einem Kämmerchen werden wir befragt und nach einiger Zeit, unterstützt durch einen Grossteil unseres Restvorrates an Zigaretten und Stumpen, können wir die Polizisten davon überzeugen, dass ich tatsächlich kein Foto gemacht habe und retten sogar auch noch den leeren Film.

Zurück am Platz drängt sich der halbe Wagen zu uns ins Abteil für Gespräche, Bilder, Backgammon, Heiratsanträge und gemeinsames Essen. Wir bereuen, dass wir keine Postkarten und Fotos aus der Schweiz mitgenommen haben, denn die Leute wollen natürlich wissen, wie wir leben, wie unsere Heimat, Häuser, Autos, Verwandten, etc. aussehen - und warum wir in dem Alter noch nicht verheiratet sind…

Da sich die Sitze hochklappen lassen und darin unser Gepäck locker Platz hat (mitteleuropäische Zugbauer könnten etwas lernen), übergeben wir unseren vierten Platz an den Familienvater, was dieser dankbar annimmt. Alles in allem ein unvergessliches Erlebnis!

18August
2001

Turkmenabat

Im Grenzstädtchen Turkmenabat müssen wir umsteigen und durch die Zollkontrolle, aber erst machen wir am Bahnhof (!) noch ein heimliches Foto der Familie aus unserem Nachbarabteil. Danach kauft Thiller Tickets für die Weiterfahrt nach Buchara, wofür er anderthalb Stunden ansteht. Plötzlich taucht Mergen wieder auf, wir gehen gemeinsam frühstücken und dabei erklärt er uns das Prozedere für den Grenzübertritt und wir erfahren noch einmal viel interessantes über Turkmenistan und Saparmyrat.

Heimliches Familienfoto am Bahnhof (mit Leyla) und das Visa von Usbekistan, mit dem nachgezeichneten Einreisestempel und dem handgeschriebenen Ausreise»stempel».

Nach dem wir die Ausreisebewilligung bekommen haben, müssen wir durch die Polizeikontrolle, die diesmal kein Problem ist. Für Dutzende hysterische Frauen hingegen schon, sie schmuggeln Benzin in Pet-Flaschen und kleinen Kanistern sowie Zigaretten nach

USBEKISTAN.

Pro forma konfiszieren die Zöllner ab und zu etwas und schicken vereinzelt Frauen zurück, später kaufen sie von den Schmugglerinnen billige Zigaretten.

Leyla bleibt an der Grenze hängen, weil sie kein Visa hat (und uns nicht glauben wollte, dass sie eines braucht), mitten im Getümmel verabschieden wir uns von ihr. Ein Riesen-Gedränge auch beim Besteigen des Zuges, Horden von Menschen drängen sich zu den Eingängen und wir quetschen uns irgendwie hinein. Dank Marlboro und ein paar Dollar bekommen wir noch ein Abteil und so wird die Fahrt nach Buchara trotz des übervollen Zuges doch noch halbwegs komfortabel. Gegen Abend treffen wir dort ein, suchen uns ein Hotel und machen Feierabend.

19August
2001

Buchara

Zeitig machen wir uns auf, das historische Zentrum von Buchara zu besichtigen und beginnen mit dem Labi Houz, der zu meinem Lieblingsplatz unserer Reise quer durch Zentralasien wird: Gemütliches dolce far niente am Rand des künstlichen Teiches bei angenehmen Temperaturen unter jahrhundertealten Maulbeerbäumen. Lieblingsplatz vielleicht auch deshalb, weil wir hier erstmals nach zehn Tagen Reise so etwas wie Rast und Ruhe geniessen.


Labi Houz (persisch «am Teich») mit dem Nodir-Devonbegi-Chanaq.


 
 

Das etwa 50 Meter hohe Kalon Minarett (oben links) und das Chor Minor (oben rechts), die Zitadelle (unten links) und Thiller als Setzkastenfigur der Nodir-Devonbegi-Madrasa (unten rechts).

Nach einem überaus beeindruckenden Tag besuchen wir am Abend ein Freiluft-Theater/Kasperli-Show über Hodja Nasreddin, dem Till Eulenspiegel Zentralasiens. Über ihn gibt es zahlreiche Anekdoten und Geschichten, oft spielt er auch einfach nur eine Witzfigur. Ein Beispiel: Regelmässig überquert Nasreddin mit seinem Esel die Grenze und es gilt als ein offenes Geheimnis, dass er etwas schmuggelt. Doch so sehr sich die Zöllner bemühen, sie finden nie etwas bei ihm. Jahre später trifft er in einer Kneipe einen der Zöllner. Dieser meint, nach all den Jahren und jetzt, da alle im Ruhestand sind, könne er ihm doch erzählen, was er damals geschmuggelt habe. Nasreddin überlegt kurz, gibt sich einen Ruck und sagt: «Esel».

Die Statue von Hodja Nasreddin am Labi Houz und Impressionen von der Aufführung.

20August
2001

Samarkand

Um halb elf fahren wir mit einem Taxi zur Fernbusstation und erwischen noch den Zehnuhrbus, der uns für zwei Mal knapp zwei Franken dreihundert Kilometer nach Samarkand bringt. Über die Busfahrt gibt es wenig zu sagen, Zugfahren ist interessanter. Einzig ein kurzer Reparaturhalt wegen einem gerissenen Keilriemen und der ewig scheppernde und leicht nervtötende Uzbeky Pop aus dem Busradio sind erwähnenswert.

Am Nachmittag treffen wir ein, suchen uns ein Hotel und besichtigen die beiden grossen Sehenswürdigkeiten Samarkands. Der Registan, ein prachtvoller Platz mit drei gigantischen Medressen (Koranschulen), ist leider gesperrt. In zehn Tagen, am 1. September, feiert Usbekistan zehn Jahre Unabhängigkeit und die Vorbereitungen für das Fest laufen. Ein paar Fotos gibt’s trotzdem, ebenso von der Bibi-Chanum-Moschee, einem gigantischen Gebäude.

Zum Abendessen suchen wir uns eine Gartenbeiz beim Bazar und lassen uns auf Preisdiskussionen ein. In Usbekistan sind westliche Touris keine Seltenheit und man weiss, dass man diese abzocken kann. Wir zahlen definitiv zu viel für unser Essen.

Registan by night und das gigantische Portal von Bibi Chanum mit Thiller als
Referenzgrösse.

21August
2001

Fahrt nach Taschkent

Am Morgen schauen wir uns das Gur-Emir-Mausoleum an und können sogar die Gruft mit dem Grab Timurs, dem zentralasiatischen Schreckensherrscher des 14. Jahrhunderts, besichtigen. Anschliessend fahren wir zu Ulug Begs Observatorium, in welchem bereits im 15. Jahrhundert erstaunliche astronomische Berechnungen durchgeführt und Entdeckungen gemacht wurden. Teile eines riesigen Sextanten sind sogar noch vorhanden.

 
   

Versuche, beim Gur-Emir-Mausoleum Reiseführer-Fotos nachzumachen und ein heimliches Bild vom nicht minder beeindruckenden Inneren (oben) sowie die unterirdischen Teile von Ulug Begs Sextanten (unten rechts).

Um die Mittagszeit fährt unser Bus nach Taschkent. Weil die Strasse ein paar wenige Kilometer über Kasachstan führt, gibt es einige Kontrollen und Verzögerungen, und wir kommen um 17 Uhr in der usbekischen Hauptstadt an. Dort suchen wir erfolglos ein Hotel, das erste ist uns zu teuer, das zweite geschlossen. Beim zweiten stehen jedoch Frauen und bieten Privatzimmer an, wir fahren mit Rachat mit und quartieren uns bei ihrer Familie ein. Am Abend gehen wir in die Fussgängerzone, wechseln Geld auf dem Schwarzmarkt (der Kurs ist etwa zweieinhalb Mal besser als auf der Bank) und essen in einem georgischen Restaurant … ein Chatschapuri.

Ein Blick auf die hinteren Busreihen (links) und Dagobert Thiller mit umgerechnet hundert Franken in den grösstmöglichen usbekischen Noten. Wechselt man Geld auf dem Schwarzmarkt, bekommt man die Usbekischen Som (ohne Witz!) in Plastiksäcken.

22August
2001

Taschkent

Zum Frühstück tischt uns Rachat Trauben, trockenes Brot und eine Flasche Vodka auf. Anschliessend fahren wir zum Flughafen und erwischen ausnahmsweise einen Taxifahrer, der nicht aufs Geld aus ist. Mit ihm plaudern wir über den hiesigen Musikgeschmack und er schenkt uns eine Kassette mit Uzbeky Pop.


Klick auf das Bild für ein Beispiel eines Uzbeky Pop Songs. Mag erstmal ja ganz gut tönen, wenn es aber stundenlang gleich und ähnlich aus einem Bus- oder Taxilautsprecher scheppert, hat man's irgendwann mal gehört. Tipp: alternativ kann man auch den Ton ausschalten, die Bilder der aktuellen Neuaufnahme lohnen sich (den Song gabs schon 2001).

Wir buchen einen Flug für morgen in den Osten des Landes, wo wir die Oasenstadt Chiwa besichtigen wollen, von der alle nur so schwärmen. Taschkent hingegen hat aus unserer Sicht nicht sehr viel zu bieten, wobei wir nach Buchara und Samarkand natürlich recht verwöhnt sind. Daher latschen wir kreuz und quer durch die Grossstadt, mailen in einem Internetcafé mal wieder nach Hause, telefonieren mit dem Schweizer Konsulat wegen der aktuellen Lage im Ferganatal (mehr dazu später) und essen Pizza. In einer Metro-Station werden wir von der Polizei befragt und kontrolliert, dabei haben wir aber das Gefühl, dass sie weniger versteckte Bomben und Drogen suchen, sondern einfach nur wissen wollen, was westliche Touries so mit sich schleppen.

Am Abend bei Rachat und Familie gibt es noch eine Diskussion übers Geld, danach leeren wir die Vodkaflasche, die wir zum Frühstück verschmäht haben.

Rachat mit Familie und ein Blick in unser Zimmer, unter dem Lavabo wachsen sogar Pilze...

23August
2001

Chiwa Tag 1

Leicht verkatert fliegen wir am Morgen mit einer uralten Tupolew nach Urgench, wo wir als erstes den morgigen Rückflug bestätigen lassen wollen, der aber komplett ausgebucht ist. Etwas Bargeld lässt den Schalterbeamten noch einmal genauer hinschauen und er findet tatsächlich noch zwei Plätze für uns. Ein Taxi bringt uns dann die dreissig Kilometer nach Chiwa und schon nach dem ersten Blick auf die Wüstenstadt ist klar, dass sich der Abstecher gelohnt hat.

Nach dem Einchecken im Hotel machen wir erst einmal Siesta, es ist gerade die heisseste Tageszeit, danach machen wir uns auf den Stadtrundgang durch die UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt.

Panoramablick über Chiwa. Die Dichte an Sehenswürdigkeiten mit den vielen Minaretten, Medressen (Koranschulen), Moscheen, Harems, Mausoleen, Mauern, Toren und so weiter ist enorm, darum verzichte ich drauf, diese einzeln zu benennen und zeige einfach Bilder der beiden Tage. Wer mehr wissen will, schaut auf Wikipedia nach.

 


   

24August
2001

Chiwa Tag 2

Mit Ausnahme einer kurzen Siesta über die Mittagszeit bummeln wir den ganzen Tag durch die Strassen, besteigen das zweite grosse Minarett und schauen Handwerkern über die Schultern. Wir kaufen ein paar Souvenirs, ein usbekisches Chäppi und eine Messingdose für unseren Schnupftabak - und essen, ohne was Böses zu denken, ein Soft-Ice am Bazar. Vor ein paar Wochen hätte uns diese Grobfahrlässigkeit ein paar Tage auf dem Klo beschert, inzwischen stecken wir das ohne Nebenwirkungen weg.

Abendessen im Hotel, wo es das beste Plov bisher gibt, ein typisch orientalisches Reisgericht mit Fleisch, welches seit Aserbaidschan regelmässig auf unserem Menüplan steht. Anschliessend organisiert uns der Hotelmanager für fünf Dollar ein Taxi zum Flughafen, drei davon steckt er ein und zwei gibt er an den Taxifahrer weiter. Nun kennen wir den Tarif und wissen, dass wir für die Herfahrt sicher genug bezahlt haben.

Nach dem Einchecken wundern wir uns, warum auf der Bordkarte Fight Class steht. Tatsächlich herrscht im Flieger freie Platzwahl und wir müssen quasi um die Plätze kämpfen. Eine nagelneue Saab bringt uns zurück nach Taschkent und ein Taxi (mit anschliessender obligater Preisdiskussion) zu unserer Unterkunft, wo wir um Mitternacht eintreffen.

Die Seidenstrasse - ein beachtliches Stück davon haben wir hinter uns.

25August
2001

Qoʻqon (Kokand)

Beim Frühstückstee gibt’s mal wieder eine Gelddiskussion. Ob jetzt mit Rachat fürs Zimmer, mit Taxifahrern oder mit wem auch immer: das Mühsame ist, dass sie erst einen Preis für etwas akzeptieren und dann hinterher mit fadenscheinigen Argumenten versuchen, mehr rauszuholen. Der Taxifahrer-Klassiker: "Ich habe nicht gewusst, dass es so weit ist." Oder immer wieder der mit dem vielen Gepäck. Trotzdem einigen wir uns mit Rachat friedlich und bekommen sogar noch ein paar Meter usbekischen Nationalstoff Adras als Abschiedsgeschenk.

Auf dem Busbahnhof erfahren wir, dass wegen Baustellen momentan keine Busse Richtung Ferganatal fahren, darum chartern wir erneut ein Taxi. Fünf unspektakuläre Stunden später (inkl. endlosen Wartezeiten vor Baustellen) erreichen wir Kokand, diskutieren (oh Wunder!) über den Preis, wodurch sich der Taxifahrer einen Grossteil seines Trinkgeldes verspielt, und suchen ein Hotel.

26August
2001

Fergana

Wir werden versetzt. Unser Reisebegleiter, der mit uns eine Seidenmanufaktur besichtigen wollte, erscheint nicht. Daher fahren wir mit einem Sammeltaxi vorbei an unzähligen Baumwollfeldern weiter nach Fergana, wo wir unser Glück erneut versuchen wollen. Zu einer Reise entlang der Seidenstrasse gehört unserer Meinung nach etwas Wissen über das namensgebende Tuch.

Die knapp hundert Kilometer bringen wir zügig hinter uns, so dass wir bereits um die Mittagszeit in einem Hotel sind. Thiller macht Siesta und ich erkunde das Städtchen und rekognosziere fürs Abendessen.

Das Ferganatal ist ein Tal in der Grenzregion Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan. Die Grenzen scheinen willkürlich gezogen zu sein und die drei Länder winden sich regelrecht ineinander verschlungen durch dieses Tal, zudem gibt es unzählige Enklaven. Das hat seit der Unabhängigkeit vor rund zehn Jahren zu einigen gewalttätigen Konflikten zwischen den verschiedenen Ethnien geführt, insbesondere in der Region zwischen Fergana und der Grenzstadt Osh. Aus diesem Grund habe ich von Taschkent aus auch das Schweizerkonsulat angerufen und mich über die momentane Situation erkundigt. Zwar ist momentan alles ruhig, die Bevölkerung ist trotzdem etwas nervös, was folgender Vorfall beim Abendessen in einer Gartenbeiz zeigt: plötzlich gibt es einen Riesenknall und einige der Gäste werfen sich unter den Tisch, während andere ins Restaurant rennen. Thiller und ich schauen uns nur verwundert an und kurz drauf hören wir eine Polizeisirene. Später erfahren wir, dass es kein Bombenanschlag war, sondern nur ein Böller des morgigen Feuerwerkes frühzeitig explodiert ist.

27August
2001

Yodgorlik Silk Factory

Heute klappt’s. Unsere Reiseführerin Elena wartet mit einem Taxi inklusive Driver vor dem Hotel und wir fahren ins benachbarte Städtchen Margilan, wo wir uns in der Yodgorlik Silk Factory in die traditionelle Kunst der Seidenproduktion - vom Kokon über die Fäden bis zum fertigen Stoff und Teppich - einführen lassen. Mehrere Hundert Arbeiterinnen und Arbeiter arbeiten hier, hauptsächlich Frauen. Faszinierend ist vor allem, dass erst die Seidenfäden eingefärbt werden und daraus dann das gewünschte Muster entsteht. Wir erfahren auch, dass der Stoff Adras, den wir von Rachat bekommen haben, eine Mischung aus Baumwolle und Seide ist.

 
  

Kokons sortieren - waschen und Fäden ziehen - einfärben - weben oder Teppich knüpfen

Eigentlich möchten wir weiter Richtung Kirgistan, aber Lena überredet uns, noch einen Tag dranzuhängen. Es gebe in der Nähe einen sehenswerten See und am Abend finde in Fergana ein grosses Fest zum zehnjährigen Jubiläum der usbekischen Unabhängigkeit statt. Warum die schon heute feiern und nicht erst am Unabhängigkeitstag (1. September), bringen wir nicht in Erfahrung. Fest tönt aber gut und wir bleiben.

Der See, Elena und unser Fahrer mit den typischen usbekischen Chäppi

Am Abend stürzen wir uns frisch gebadet und nach Lavendel duftend ins Partygetümmel. Aber Pech gehabt, alles ist abgeriegelt und Ortsfremde haben aus Sicherheitsgründen keinen Zugang, diesmal lässt sich auch nicht verhandeln. Wir setzen uns mit Elena in ein Restaurant, leeren eine Flasche Wein und erfahren viel über Usbekistan und das Ferganatal.

 

28August
2001

Ош (Osh)

Elena lässt es sich nicht nehmen, uns bis zur Grenze zu begleiten, die wir nach zwei Polizeikontrollen, einem geschlossenen Zollamt und sechzig Kilometern Umweg dann auch erreichen. Für die Ausreise fehlt uns ein Deklarationsformular, dank unserem Verhandlungsgeschick lösen wir auch dieses Problem und wir stehen vor dem kirgisischen Zoll, einem kleinen, einfachen Wachhäuschen. Keine üblichen misstrauische Blicke oder Fragen, was wir eigentlich hier wollen, sondern eine simple Ansage, die uns für unseren letzten Reisemonat zuversichtlich stimmt: «Willkommen in

KIRGISTAN

Tourist-Visa Kirgistan

Trotzdem hat der Zöllner das Bedürfnis, in unserer Schmutzwäsche herumzuwühlen. Danach fangen uns zwei geschäftige Reisebürodamen ab, die wir - liegt es an ihrer charmanten Art? (Tagebucheintrag Thiller) - nicht einfach so abschütteln können und wir lassen sie unsere zweitägige Fahrt nach Bishkek organisieren. Wir handeln 80 Dollar aus und legen noch etwas drauf, dafür wollen wir das Taxi exklusiv für uns. Aus Erfahrung wissen wir, dass Autos jeweils vollgestopft werden, darauf haben wir für die Sechshundertkilometerfahrt aber wenig Bock.

Thiller mit den beiden Reisebürodamen und wir beide mit dem Gepäckhaufen, welchen wir insgesamt etwa 3500 Kilometer quer durch Zentralasien schleppen.

Anschliessend bummeln wir über den farbenfrohen Bazar. Wir schauen zu, wie aus einem Klumpen Teig nahezu endlos lange Nudeln gezogen werden, die als Basis für Laghman, Nudelsuppe mit Fleisch, dienen. Sieht nicht nur lecker aus, ist es auch.

Bazar von Osh

29August
2001

Hotel Schiguli

Wir haben wohl noch die Zeitverschiebung zwischen Usbekistan und Kirgistan in den Knochen (eine Stunde!) und werden erst um neun Uhr munter. Frühstück auf dem Bazar und schon treffen die beiden Mädels mit Marat, unserem Chauffeur, ein. Mit ihm und seinem Lada Schiguli fahren wir los Richtung Norden, vorbei an Melonenfeldern und einzigartigen Landschaften. Marat entpuppt sich als gemütlicher Geselle, er lässt uns unterwegs fotografieren und Melonen kaufen, aber leider spricht er nur russisch. Kurz nach dem Mittagessen-Stopp am Bazar von Dschalalabat (nicht verwechseln mit Dschalalabad in Afghanistan) ist es dann auch um unsere Abmachung bezüglich Exklusivrecht geschehen, er lädt zwei Frauen (Schwestern) und die dreijährige Cidiana auf. Es wird eng im Schiguli.

Sich an den Strassenrand zu stellen und darauf zu warten, dass man von einem nicht vollen Taxi, einem Sammeltaxi oder einem Privatauto gegen Entgelt mitgenommen wird, ist eine durchaus übliche und günstige Art der Fortbewegung und daher können wir uns auch nicht wirklich dagegen wehren. Auch wenn wir zwei oder drei Mal einen Kotzstopp für die Kleine einlegen müssen.

Um 19 Uhr erreichen wir bei herrlicher Abendstimmung den Toktogul Stausee auf knapp tausend Metern Höhe. Wir sind überzeugt, dass wir jetzt dann im gleichnamigen Städtchen eine Unterkunft ansteuern, aber leider durchqueren wir den Ort und kurven munter weiter. Nach zwei weiteren Stunden Fahrt steigt unser Bedürfnis, die eingeklemmten Knochen zu strecken und fragen mal ganz scheu, wie es wohl mit einem Hotel aussehe. «Hotel?», fragt Marat unverständlich nach. Wir nicken. «No Hotel», kommt zurück und er hängt gleich dran: «Hotel Schiguli». Er und die beiden Kirgisinnen prusten los vor Lachen, Thiller und ich finden die Idee, die Nacht in dieser Sardinendose zu verbringen, hingegen nicht mal halb so witzig. Wir können Marat aber überzeugen, uns etwas Bequemeres zu organisieren und so übernachten wir in einer gemütlichen Hütte an einem Bach am Ala-Bel Pass. Die Kosten übernehmen wir selbstverständlich für alle.

 
 

Melonenfelder (oben links) und einzigartige Landschaften am ersten Tag unserer Fahrt nach Bishkek. Am Abend entlang des Ufers des Toktogul Stausees (unten rechts).

30August
2001

Fahrt nach Bishkek

Unser Chauffeur bewegt sich erst gegen acht Uhr und als erstes organisiert er uns eine Portion Kumys, das kirgisische Nationalgetränk aus vergorener und dadurch leicht prickelnden und alkoholhaltigen Stutenmilch. Wer sich das geschmacklich vorstellen möchte, kann ein Bier mit Joghurt mischen und warmstellen, das dürfte ungefähr hinkommen. Unser allererstes Kumys bekommen wir also am frühen Morgen auf nüchternen Magen, was zuerst einmal leichten Brechreiz auslöst und in dem Moment können wir uns nicht vorstellen, dass wir diese Brühe schon bald freiwillig trinken werden.

Wir überqueren den Ala-Bel Pass und auf einem Hochplateau machen wir bei einer Jurte Frühstückshalt, wo es Brot, Nidle, Konfi, Chai (Tee) und natürlich Kumys gibt. Ja genau, so haben wir uns Kirgistan vorgestellt - und das zweite Kumys schmeckt tatsächlich schon besser…

Kirgistan

Für etwa eine Stunde nehmen wir noch einen weiteren Fahrgast mit (auf dem Beifahrersitz können schliesslich zwei sitzen), bis wir vor dem Scheiteltunnel des Töö-Passes auf knapp 3200 Metern rund eine Stunde auf die Durchfahrt warten müssen. Nach welchen Regeln wer wann und in welche Richtung durch das drei Kilometer lange Loch fahren darf, durchschauen wir nicht. Plötzlich gibt es ein riesiges Hupkonzert und die ganze Kolonne fährt los, wir schaffen es gerade noch, hinterher zu rennen und fliegend einzusteigen, ohne die ganze Kolonne aufzuhalten. Danach geht es nur noch runter bis Bishkek. Die kirgisische Hauptstadt erreichen wir gegen Abend, bevor wir in die Stadt einfahren, wird an einem Bach aber noch der Schiguli gewaschen. Etwa um 18:30 Uhr treffen wir bei Galina, Kurt und Olga ein, wo wir mit Spaghetti, Salat und einem guten Kaffee Schnaps verwöhnt werden.

Marat beim Waschen seines nicht sehr geräumigen Schiguli kurz vor Bishkek - aber immerhin hat uns der Wagen ohne Panne über das Gebirge gebracht, unterwegs standen zahlreiche Autos, die das nicht geschafft haben. Und rechts unsere drei Mitfahrerinnen, Cidiana ist am zweiten Tag zum Glück besser gelaunt, ebenso ihr Verdauungsapparat.

31August
2001

10 Jahre Bishkek

Nach dem gemütlichen Morgenessen mit Kurts Familie schleppen wir unser Gepäck in eine Wohnung in der Nachbarschaft, die uns Kurt organisiert hat und die wir für 20 Dollar am Tag mieten. Die Bewohner sind ausgezogen und wohnen in Zwischenzeit entweder in ihrer Datscha (Wochenendhäuschen) oder bei Nachbarn.

Anschliessend bummeln wir alle zusammen durch die feiernde Stadt. Während der Auflösung der Sowjetunion erklärte Kirgisistan heute vor genau zehn Jahren seine Unabhängigkeit als Kirgisische Republik und die Stadt erhielt wieder ihren kirgisischen Namen. Davor hiess sie Frunse, benannt nach einem General des russischen Bürgerkrieges.

Mein Magen mag heute nicht so recht und ich fühle mich schlapp, daher mache ich nach dem Pizzaessen Feierabend. Thiller stürzt sich hingegen noch ins Getümmel und hilft den Kirgisen beim Feiern. Am Morgen beschwert er sich dann, dass bereits um halb drei das Licht infolge Stromausfall ausgegangen und die Party daher abrupt vorbei gewesen sei.

Das Weisse Haus von Bishkek (links), Sitz der kirgisischen Regierung und das historische Museum mit der Lenin-Statue am Ala-Too-Platz, der bis vor zehn Jahren noch Leninplatz geheissen hat.

01Sept
2001

Chäsbrätel

Heute mache ich nicht viel und verbringe den Grossteil des Tages auf dem Sofa. Einerseits fühle ich mich noch nicht ganz fit, andererseits tut es gut, nach fast drei Wochen täglichem Unterwegssein, täglichem Hotelsuchen, täglicher Reiseplanung, dreieinhalbtausend Kilometern quer durch Zentralasien und einer Million Eindrücke einfach mal nichts zu tun. Thiller geht in die Stadt, kauft ein paar Grundnahrungsmittel ein und bringt einen riesigen Haufen Schmutzwäsche zu Galina.

Zum z’Nacht machen wir uns einen Chäsbrätel mit kirgisischem Schweizerkäse. Im Rahmen eines kirgisisch-schweizerischen Entwicklungsprojektes des DEZA ist vor ein paar Jahren eine Käserei aufgebaut worden, um der regionalen Milchwirtschaft neue Absatzkanäle zu eröffnen. Dort wird nun Käse nach Schweizer Art produziert und der hiesige Blaue Tilsiter eignet sich tatsächlich gut für Raclette.

02Sept
2001

Wanderung

Bereits um zehn Uhr bringt uns Kurt frisch gewaschene Wäsche vorbei und drängt zum Aufbruch, er und Galina haben heute frei und wir machen eine gemeinsame Wanderung in den Bergen südlich der Stadt. Die Gegend erinnert uns ans Gental oder die Handegg. Nach einem Pic-Nic auf einer grossen Steinplatte mit einer Flasche, nach gestampften Geranien schmeckenden moldawischen Roten, finden wir noch jede Menge Pilze, die Galina am Abend zu Pilzragout verarbeitet.

Olga, Galina und Kurt zusammen mit Thiller und dem moldawischen Rotwein

03Sept
2001

Reiseplanung

Wir planen heute unseren Aufenthalt in Kirgistan und lassen uns zuerst von Taxifahrer Basarbai zu Kurts Büro fahren. Kurt arbeitet für das Kyrgyz-Swiss Forestry Support Program zusammen mit Sämi, einem Praktikanten der FH Biel, der uns viel über seinen eigenen Kirgisien-Trip zu erzählen weiss. Anschliessend suchen wir das Reisebüro NoviNomad auf, wo uns ein unmotivierter Mitarbeiter verspricht, bis morgen eine Tour zum Song-Kul zusammenzustellen, einem der beiden Seen, die wir unbedingt besuchen wollen.

Nach einem erneuten Chäsbrätel zum z’Nacht besprechen wir unsere Pläne mit Galina und Kurt und holen dabei weitere gute Tipps und Ideen ab.

04Sept
2001

Vorbereitung

NoviNomad will für eine sechstägige Tour fast 900 Dollar, was über unseren Erwartungen liegt und wir beschliessen, dass wir es direkt vor Ort probieren wollen. Wir haben ja noch die Adresse eines Reisebüros in Kochkor.

Danach buchen wir bei Turkish Airlines unseren Rückflug für den 26. September, wobei es Thiller erst mal nur auf die Warteliste schafft. Unsere Reise hat nun ein Ablaufdatum und irgendwie ist das ein komisches Gefühl. Nachdem wir die letzten Tage untätig rumgehangen sind, die Zivilisation und das westliche Essen genossen haben, kommt mit dem Rückflugdatum eine gewisse Unruhe auf: Wir müssen weiter!

Dazu treffen wir die weiteren Vorbereitungen, kaufen Lebensmittel ein und ich ein Paar Jeans als Reithosen, treffen wir uns mit Basarbai, um mit ihm die morgige Fahrt nach Kochkor zu besprechen, und packen. Zum z’Nacht machen wir uns eine Chäsrösti; wer weiss, ob es die nächsten Tage etwas Geniessbares gibt…

05Sept
2001

Kochkor

Zuerst bringen wir das überflüssige Gepäck zu Kurt und Galina, Frühstücken und geben unsere Wohnung ab. Um zehn Uhr holt uns Basarbai ab und wir fahren los Richtung Kochkor. An der Stadtgrenze von Bishkek machen wir jedoch noch einen Boxenstopp, ein Vorderrad wird ausgewuchtet und das gut profilierte linke Hinterrad wird durch ein komplett abgefahrenes ersetzt. Für diese lange Fahrt wäre es schade um den guten Reifen und ausserhalb der Stadt gäbe es sowieso praktisch keine Kontrollen, klärt uns Basarbai auf.

Zu Mittag gibt es einen Eintopf mit Schaffleisch aus einer grossen, gusseisernen Pfanne. Schmeckt sehr gut, auch wenn das Fleisch teilweise sehr fettig ist. Je fetter ein Stück Fleisch ist, als desto besser gilt es hier und als Gast bekommt man natürlich immer die besten Stücke. Wir werden noch ein paar Mal erklären, dass wir uns gerne auch mit den minderwertigen, mageren und zarten Stücken zufriedengeben.

Basarbai ist sehr gesprächig, weiss viel über die Gegend zu erzählen und macht vor allem Werbung in eigener Sache. Die Rückfahrt sollen wir unbedingt mit ihm machen, die örtlichen Taxifahrer seien alle Gauner, mit dem Bus sei es zu umständlich und im Zug würde nur gesoffen und geprügelt.

Bei Shepherd's Life in Kochkor, einer von Helvetas gegründeten lokalen Reiseagentur, buchen wir einen fünftägigen Rosstrip zum Song-Kul. Ein Zimmer mit Frühstück bekommen wir gleich bei der Familie einer der Mitarbeiterin. Das Abendessen lassen wir ausfallen, wir sind noch vom Mittagessen satt.

 
 

06Sept
2001

Das erste Jailoo

Zum Frühstück bekommen wir Zopf, Spiegeleier, Tomaten und Gurken, Tee sowie selbstverständlich Kumys. Mit Asl, unserer Gastgeberin und heutiger Reiseführerin, und einem Fahrer vervollständigen wir auf dem Bazar unseren Lebensmittelvorrat für die nächsten Tage, dann besichtigen wir die Umgebung. Den ersten Halt machen wir beim Brennenden Wasser, einer Quelle, deren Wasser tatsächlich kurz brennt, wenn man ein Zündholz dran hält. Dass man das Wasser trinken kann, glauben wir zwar, versuchen es aber trotzdem nicht.

Weiter geht’s zu einer stillgelegten (?) Salzmine, welche heute als Sanatorium für Asthma- und Lungenkranke dient. In den Stollen sind Zimmer, Wohn- und Essräume angelegt, von den Decken hängen Kronleuchter. Die Anlage scheint aber nicht in Betrieb zu sein. In Schichten des Salzgesteins sind irgendwelche Tiere eingeschlossen und konserviert, teilweise erkennt man Felle und Haare. Ob es sich dabei um Mammuts oder nur Mäuse handelt, bringen wir leider nicht in Erfahrung. Etwas oberhalb der besichtigten Mine befindet sich eine zweite, ältere, die als Goldmine einem Western entsprungen sein könnte. Hier wurde scheinbar schon vor 800 Jahren Salz gewonnen.

Die Eingänge zur alten (links) und zur uralten Salzmine.

Nach Tee und Brot fahren wir zu unseren Rossvermietern und lernen unsere beiden Guides für die nächsten Tage und deren Familien kennen, Djamangul und Amanat, zwei Pensionisten aus dem Dorf. Zuerst gibt es wieder Tee, dazu Äpfel und Schaffleisch, dann geht es endlich (Thiller) oder schon wieder (ich) auf die Pferde.

 
  

Die Familien unserer beiden Guides Amanat (oben links) und Djamangul (oben rechts), wobei hier unbedingt noch ein Tourist mit aufs Bild musste. Unten rechts Thiller mit den beiden, Amanat mit dem kirgisischen Kalpak (Hut) - wir werden ihn praktisch nie ohne sehen.

Ungefähr eine Stunde reiten wir, bis wir das Jailoo der Familie mit einer einfachen Hütte und einer Jurte erreichen, also so etwas wie ein Vorsass oder eine Alp. Dort werden wir mit einem Tee begrüsst und nachdem wir die Pferde versorgt haben, machen Thiller und ich eine kurze Abendwanderung. Da ich mir kurz vorher auf dem Klo den Schädel an einem Querbalken angeschlagen habe, sehe ich doppelt und mir ist ziemlich schwindlig. Ich würde mich nicht gerade als Riese bezeichnen, trotzdem überrage ich den Durchschnittskirgisen um ein paar Zentimeter und mache daher öfters mal Bekanntschaft mit niedrig montierten Bauteilen. Z’Nacht mit viel Schaffleisch, Hüttenkäse, Brot, Gemüse und Tee in der Jurte, wo wir anschliessend unsere Schlafsäcke ausrollen.

Das Jailoo der Familie eines unserer beiden Begleiter und das erste z’Nacht in einer Jurte.

07Sept
2001

Jailoo-Tour

Die Nacht in der Jurte war herrlich, Thiller beschwert sich nur über Amanats Schnarchen, Djamanguls Zähneknirschen und dass er wegen dem vielen Tee vom Vortag einige Male hat aufstehen müssen. Von alldem habe ich nichts gemerkt, hingegen brummt mein Schädel noch immer. Kräftiges Frühstück mit Suppe, Schaf, Tee, Brot, Nidle, Himbeerkonfi, Hüttenkäse - und natürlich Vodka.

Um zehn Uhr reiten will los und gewinnen schnell an Höhe. Bereits nach einer Stunde kommen wir bei einem weiteren Jailoo vorbei, wo wir den ersten Kumys-Stopp einlegen.

Ausnahmslos bei jedem Jailoo blubbert eine Pfanne mit Schaffleischeintopf vor sich hin, steht ein heisser Samowar mit Tee bereit und wartet eine Kanne mit Kumys auf uns. Mangels Brennholz wird meist mit Mist gefeuert.

Den ganzen Tag reiten wir über riesige Ebenen, Hochtäler und entlang von Bergflanken auf Höhen deutlich über 2000 Metern, dabei treffen wir immer wieder auf Nomadenfamilien mit ihren Zelten. Mittagsrast machen wir in einem Talkessel, wo wir die Pferde weiden lassen, ich mich mit dem Benzinkocher abmühe um Tee zu kochen und anschliessen die Beine von uns strecken. Das Wetter ist recht durchzogen und am Nachmittag erwischt uns etwas Regen.

Thiller, Meister der Anpassungsfähigkeit: Reiten - Essen - Schlafen

Am Abend erreichen treffen wir auf eine Nomadenfamilie, die ihr Zelt in recht steilem Gelände aufgebaut hat und wir stellen unsere Zelte auf die wenigen verbleibenden halbwegs ebenen Quadratmeter. Dass wir selber kochen wollen, wo doch in unmittelbarer Nähe ein Schaf in einem Gusseisenkessel vor sich hin köchelt, stösst auf allgemeines Unverständnis. Trotzdem nötigen wir unsere beiden Begleiter dazu, ein paar Löffel Gerstensuppe und Tomatenreis zu probieren, sie schleichen sich aber bald davon und lassen sich von der Gastgeberfamilie verköstigen, wie es hierzulande ja auch üblich ist.

Wir haben es grundsätzlich sehr lustig mit Djamangul und Amanat, auch wenn die Verständigung nicht immer einfach ist. Ihr trockener Humor kommt bei uns gut an, wir nehmen uns gegenseitig hoch und wenn wir mal einen Witz oder Spruch verstanden haben, bringt man ihn öfters wieder, schliesslich kann man mehr als einmal drüber lachen. Zum Tagesabschluss laden wir die beiden noch auf einen Schnupf ein, der sie fast auf den Rücken wirft. Eine filmreife Szene.

08Sept
2001

Windegg

In der Nacht weckt mich ein knurrender Bär vor dem Zelt, gleichzeitig fletscht ein nahes Wolfsrudel seine Zähne. Die Geräusche in 1A-Dolbydigitalqualität stammen aber nicht von wilden Viechern, sondern von meinem Zeltnachbar und aus dem Nachbarszelt. Die nächtliche Geräuschkulisse soll zum Running Gag der nächsten Tage werden.

Beim Frühstück versuchen wir unseren Gastgebern klarzumachen, dass wir üblicherweise nicht drei Mal am Tag Fleisch essen und bekommen statt des gekochten Schafes … gebratenes Schaf. Zum Glück haben wir aber noch Brot dabei, vor dem obligaten Kumys können wir uns jedoch nicht drücken. Immerhin soll es Vitamine enthalten und gegen alle möglichen Gebrechen gut sein. Ähnliches hat man uns aber auch schon über Vodka erzählt.

Wir verabschieden uns von unseren Gastgebern, stecken ihnen unauffällig (damit sie es nicht ablehnen müssen) ein paar Som zu und reiten dann ganze viereinhalb Stunden über Berge, durch Schluchten, Gräben und über Hochebenen, bis wir endlich ein Rinnsal finden, an dem wir Pause machen. Nach einer weiteren Stunde erreichen wir einen windigen Sattel auf deutlich über 3000 Metern. Thiller nennt unseren Biwakplatz Windegg.

Mir tun sämtliche Knochen weh, insbesondere die Knie schmerzen. Nach dem Zeltaufstellen gönne ich meinem Körper Erholung, in dem ich etwa eine Stunde einen steilen Grat hinauf steige und neben einem Steinmanndli die Aussicht geniesse. Thiller versucht inzwischen, den beiden das Jassen beizubringen. Zum z’Nacht ärgern wir uns gegenseitig mit unserem Essen, wir sie mit unseren Tomatenmagronen, sie uns mit ihrem fettigem Hammelfleisch. Mit Kaffee Zwetschgen beenden wir den Tag.

Djamangul - und einer unserer Biwakplätze

09Sept
2001

Schlechte Laune

Der Tag beginnt hektisch, zwei unserer Pferde haben sich davon gemacht und unsere beiden Helden brauchen eine Stunde, um sie wieder zurückzubringen. Nach dem Frühstück («nein danke, wir möchten kein Fleisch») reiten wir den steilen Weg hinauf, den ich gestern schon zu Fuss genommen habe. Zwischendurch steige ich ab und gehe zu Fuss, weil ich das Gefühl habe, dass mein Pferd heute nicht so recht mag, immerhin muss es neben mir auch noch die ganzen Lebensmittel schleppen. Da Amanats Pferd bockt, steigt dieser kurzerhand auf meins um, wofür ich grad überhaupt kein Verständnis habe. Er quittiert meinen Protest mit einem Schulterzucken, Pferde sind schliesslich zum Tragen und Reiten da…

Nach drei Stunden dann der nächste Hammer: auf dem Pass, den wir überqueren wollen, hat es zu viel Schnee und wir müssen umkehren. Kurze Pause, ein Rossmistfeuer von Thiller und dann zwei Stunden Abwärtsritt im Regen, bis wir endlich ein Jailoo erreichen, wo wir essen uns unsere Zelte aufstellen. Heute ist nicht mein Tag, ich verkrieche mich nachmittags um zwei in die Penntüte und verlasse diese erst wieder am nächsten Morgen.

Die anderen drei gehen noch inhalieren. Hier wächst ein Gebüsch mit stark duftendem Harz, wenn man dieses über Feuer erhitzt, soll der Rauch gut für die Atemwege sein. Oder so. Wegen eines Gewitters kommen sie aber bald zurück und verkriechen sich ebenfalls ins Trockene.

10Sept
2001

Wo der Himmel die Erde berührt*

Der Himmel ist noch etwas verhangen, es zeichnet sich aber ein schöner Tag ab. Die drei holen unsere Pferde, die sich über Nacht bis zum Ende der Ebene durchgefressen haben. Frühstück, verstecktes «Abrechnen» mit unseren Gastgebern, Abschieds-Kumys und los geht’s. Erst talauswärts, dann queren wir einen Fluss, auf der anderen Talseite wieder hoch, den Grat entlang, hinten runter und durch die nächste Hochebene. Dazwischen immer wieder Fotostopps und Kumys-Pausen. Letztere entweder, wenn wir auf Nomaden treffen, die dann von unseren beiden Guides mit fiesem Grinsen gleich zu einem Schnupf verknurrt werden, oder aber bei Bedarf immer wieder ein Schluck aus der PET-Flasche.

Schnupf- und Kumys-Stopp: unsere beiden Routiniers beim Schnupfen, zusammen mit einem eher skeptischen Landsmann. Und wegen einem Schluck Kumys steigt man nicht immer vom Pferd.

Um 16 Uhr erreichen wir den letzten Hügel und sehen endlich unser Ziel, den Song-Kul. Trotzdem dauert es noch drei Stunden, teilweise im Galopp dem See entlang, bis wir unsere Gast-Jurte erreichen, wo wir herzlich empfangen werden. Nach acht Stunden im Sattel endlich runter vom Pferd, mit wackligen Beinen in die Jurte, wo unser Abendessen wartet und wo wir anschliessend unsere Schlafsäcke ausrollen. Trotz allen Strapazen ein überwältigender Tag!

 
 

 
 

 

*) Titel eines Dokumentarfilms über Kirgistan.

11Sept
2001

Song-Kul

Der Tag beginnt mit einem herrlichen Sonnenaufgang im Jurtendörfchen am Song-Kul auf 3020 Metern. Schafe werden getrieben, Kühe gemolken und Touristen mit frittiertem Fisch gefüttert - nach dem vielen Schaffleisch sogar zum Frühstück eine willkommene Abwechslung. Abwechslung braucht auch mein Körper und darum verzichte ich heute auf den Ausritt entlang des Sees, Amanat nennt mich deshalb Mädchen.

Thiller lässt sich das natürlich nicht nehmen und reitet mit den beiden los. Ich fange mit einem Bummel entlang der Lagune an, an der unser Camp liegt, und schiesse unzählige Fotos. Nach meiner Rückkehr bekomme ich erst einmal die obligate Vormittags-Portion Kumys, dann tausche ich mit einem chilenischen Filmteam unsere Reiseerfahrungen aus. Sie drehen eine mehrteilige Doku über die Seidenstrasse und haben fast die gleiche Reise hinter sich wie wir.

Das Jurtedörfchen von der schmalen Landbrücke der Lagune aus gesehen.

Für das Filmteam wird ein Schaf geschächtet und in seine Einzelteile zerlegt, anschliessend zeigt mit Djamilja, eine unserer Gastgeberinnen, wie Kumys entsteht. Ein Fohlen dient zum Vormelken, dann wird von jeder Stute ein knapper Liter Milch gemolken, die in einem Ledersack, der noch etwas älteren Kumys enthält, etwa 500 Mal gestampft wird. Über Nacht lässt man es ruhen und stampft es am nächsten Morgen erneut und fertig ist das Gesö…tränk.

 
  

Kumys-Produktion: melken und stampfen sowie weitere Eindrücke «meines» Tages.

Kurz vor Sonnenuntergang kehren Thiller, Djamangul und Amanat ziemlich fröhlich zurück. Schon kurz nach ihrem Start gab es bei einer Jurte den ersten Kumys-Halt. Weiter ging es in gemütlichem Trab und leichtem Galopp (sie hatten heute schliesslich keinen Bremser dabei) weiter Richtung Westen, bis Amanat auf die Idee kam, sie könnten Baden gehen. Länger als eine Minute hat es aber keiner ausgehalten, Djamangul brachten sie nur mit viel Gewalt ins Wasser. Suppe, Brot und was zu Trinken in einer ersten Jurte, weiter in flottem Galopp durch kleine Buchten bis zu einem Jurtedörfchen, wo sie mit Fisch und Vodka verköstigt wurden. Auf dem Rückweg machten sie erneut öfters Halt für Suppe, Fleisch und Kumys, bis selbst die beiden Kirgisen nichts mehr runterbringen.

Ich habe am Abend richtig Appetit, Thiller isst lediglich ein paar Gabeln Tomatensalat und Amanat rührt überhaupt nichts an. So ein Mädchen.

Drei Männer und der See, wobei sogar Amanat oben ohne (also ohne Hut) ins Wasser geht. Rechts eine ihrer vielen Tankstellen am See.

12Sept
2001

Schnee

Es schneit. Zuerst suchen wir in der dicken Nebelsuppe die Pferde, dann frühstücken wir mit frischem Brot, Kartoffeln und Schaffleisch. Wir werden gefragt, ob wir zum Mittagessen, unsere letzte Mahlzeit hier, Schaf oder Fisch möchten und entscheiden uns für Fisch. Schaf hatten wir zur Genüge und wir haben den Verdacht, dass sie wegen uns ein Schaf schlachten und wir in den Genuss der hiesigen ultimativen kulinarischen Delikatesse kommen würden: Schafsaugen. Das ist nun wirklich nicht nötig.

 
 

Unser Abschiedsessen und unten rechts ein Blick auf die Konstruktion der Jurte, die wir teilweise als Garderobe missbrauchen. Oben sieht man einen Teil der typischen Kuppel, die auch auf der kirgisischen Flagge dargestellt ist.

Am Vormittag spielen wir Karten, am Nachmittag Fussball. Das Wetter ist inzwischen besser geworden, uns geht auf dieser Höhe aber schnell die Luft aus. Dann folgt das Abschiedszeremoniell. Den Frauen, die uns bewirtet haben, stecken wir (natürlich auch wieder heimlich) ein paar Som zu, Djamilja schenken wir zudem unser Reise-Nähset und machen ihr damit eine Riesenfreude. Die Männer bekommen erst eine Runde Schnupf, dann verteilen wir Stümpen, die gleich angezündet werden. Einer der Männer schenkt mir eine Flasche Kumys und gibt zu bemerken, dass ich ihm dafür etwas bezahlen könnte. Die Frauen stauchen ihn deshalb ordentlich zusammen und zur Entschuldigung bekommen wir ein paar einheimische Zigaretten von ihm.

Ein Taxi bringt uns zurück nach Kochkor, wo wir in ein Hotel einquartiert werden und wo wir die letzten Tage bei einem guten Essen und (zu)viel Vodka noch einmal Revue passieren lassen.

13Sept
2001

Der Schock

Es soll Ereignisse geben, an die man sich nicht nur ein Leben lang erinnert, sondern wo man auch nie vergisst, was man zu dem Zeitpunkt gerade gemacht hat, als man davon erfahren hat. Die Mondlandung soll dazu gehören und natürlich auch die Anschläge in New York am 11. September 2001. Von diesen erfahren wir aber erst heute, also mit zwei Tagen Verspätung.

Kurz nach sieben steht Basarbai aufgeregt neben meinem Bett, wir sollen aufstehen und frühstücken und das Ganze auch noch dawai. Bestellt war er für zehn Uhr. Er faselt etwas von einem Flugzeugabsturz, 100'000 Toten, Krieg mit Amerika und Atombomben auf Afghanistan. Das lässt uns nun doch nicht ganz kalt, insbesondere auch, weil schon der Taxifahrer gestern etwas in diese Richtung gesagt hat, was wir aber nicht ernst genommen haben. Mit einem Umweg zu Basarbais Datscha, wo er uns mit Lagman verpflegt, lassen wir uns zuerst zu Kurt ins Büro bringen, der uns auf den neuesten Stand bringt. Dann beziehen wir wieder «unsere» Wohnung in Bishkek, wo wir natürlich gleich die Glotze einschalten, um zu schauen, wie während unserer Abwesenheit die Welt aus den Fugen geraten ist.

Z’Nacht bei Wüthrichs, dort erörtern wir noch einmal die aktuelle Lage und erzählen von unserem Song-Kul-Trip.

14Sept
2001

Einkaufsbummel

Heute bummeln wir durch Bishkek, ich kaufe einen Kalpak, den typischen kirgisischen Hut und Thiller eine CD mit Uzbeky Pop und eine mit russischem Lärm. Wir schauen bei Turkish Airlines wegen Thillers Rückflug vorbei, er steht noch immer auf der Warteliste und wegen den Terroranschlägen können sie auch noch nicht abschätzen, wie es bis in zwei Wochen überhaupt mit Flügen aussieht. Aus dem gleichen Grund ist auch das Kreditkartennetz ausser Betrieb und wir wechseln unsere letzten Bargeldreserven in kirgisische Som. Zum z’Nacht gönnen wir uns mal wieder ein Raclette, zwischendurch werfen wir immer wieder einen Blick auf die Nachrichtensender im TV.

15Sept
2001

forest.kg

Unser erster Arbeitstag seit fast drei Monaten! Wir haben Kurt versprochen, ihn bei der Erstellung eines Webseiten-Konzeptes zu unterstützen und fahren zu ihm ins LES-IC Büro. Dort diskutieren wir einen möglichen Aufbau und Inhalte und reservieren die Domain forest.kg. Nach diesem schweren Arbeitstag gönnen wir uns ein ordentliches Feierabendbier.

Am Abend gehen wir mit Kurt und Familie in ein indisches Restaurant essen und besprechen dort unsere weiteren Reisepläne, respektive wie sich die Terroranschläge darauf auswirken. Wir wollen unbedingt noch an den Yssyk-Kul, den zweitgrössten Gebirgssee der Erde. Von Kurt erfahren wir, dass insbesondere die Amis viele ihrer Leute heimschicken und auch offizielle Schweizerdelegationen ihre Reisen hierher verschoben haben. Echte Reisewarnungen hingegen gibt es nicht, es wird zur Vorsicht aufgerufen, weil etwa Geiselnahmen nicht ganz ausgeschlossen werden können. Da wir im Norden Kirgistans fast 800 Kilometer Luftlinie von Afghanistan weg sind, dürfte das Risiko dazu doch recht gering sein. Anders würde es wohl in Turkmenistan oder Usbekistan aussehen, diese Länder grenzen an Afghanistan und haben zudem den USA Unterstützung zugesagt, weshalb auch die Grenzen mehr oder weniger dicht sind.

Blick aus unserer Wohnung über Bishkek (800m) Richtung Süden in das Kirgisische Gebirge (bis gegen 4900m), dem westlichen Teil des Tien Schan.

16Sept
2001

Schüttelfrost

In der Nacht wird mir hundeelend, dazu Schüttelfrost, Schweissausbrüche, Übelkeit und Kopfweh, darum bleibe ich den ganzen Tag mehr oder weniger im Bett. Thiller probiert am Vormittag das Klavier in unserer Wohnung aus und spielt - sehr aufbauend -  Wenn Mys letschte Stündli schlaht. Am Nami geht er einkaufen. Nach seiner Rückkehr diagnostiziert Dr. Thiller bei mir Fieber und ich werfen ein Influbene ein, um fit genug fürs Packen zu sein.

17Sept
2001

Cholpon-Ata

Nach einem Influbene/Zwieback-Frühstück fühle ich mich halbwegs transportfähig und wir lassen uns von Superblitz Golia nach Cholpon-Ata am Nordufer des Yssyk-Kul fahren. Er bietet uns für zwei Dollar eine Übernachtungsmöglichkeit in seinem Haus an, das er gerade zu einer Pension umbaut.

Seine zwölfjährige Tochter zeigt uns anschliessend die schönsten Strände am See, der flächenmässig etwas grösser als der Kanton Bern und wirklich einmalig ist: auf 1600 Metern gelegen mit tiefblauem, leicht salzigem Wasser und endlosen Sandstränden mit Blick auf die schneebedeckten Vier- und Fünftausender des Tien Schan auf der Südseite. Ich mache ein Nickerchen im warmen Sand, Thiller wandert dem Ufer entlang und wagt sich ins etwa 18-grädige Wasser.

In einem Restaurant gönnen wir uns eine Portion Lagman, zurück in der Unterkunft spielen wir (ich mit viel Würfelpech) Backgammon und mit den beiden Kindern des Hauses ein kirgisisches Kartenspiel.

Blick vom Sandstrand über den Yssyk-Kul ins Tien Schan Gebirge. Einzigartig, auch wenn es schon herbstlich und dadurch etwas dunstig ist.

18Sept
2001

Ananyevo

Heute will das Wetter nicht so recht, daher besuchen wir nach einem Frühstück mit frischen Crêpes das Yssyk-Kul-Museum mit Wissenswertem über See, Region, Menschen und die Geschichte dazu. Anschliessend braucht Thiller schon wieder eine Portion Lagman, dazu spielen wir Backgammon und ich beschliesse, dass wir dafür dringend neue (bessere) Würfel brauchen.

Am frühen Nachmittag verlassen wir den Ferienort und Golia bringt uns ins 50 Kilometer entfernte Städtchen Ananyevo, wo wir uns im LES-IC-Guesthouse einnisten und von Natacha bewirtet lassen dürfen. Ich fühle mich noch nicht wirklich fit, darum geht Thiller alleine auf eine kurze Wanderung in die nahegelegenen Hügel und kommt erst zurück, als es stockdunkel ist. Zum z’Nacht tischt uns Natacha Manty auf, die zentralasiatische Ravioli-Version mit feiner Sauce.

Thiller mit einer Notration Lagman und Bilder von seiner Nachmittagswanderung.

19Sept
2001

Steinjurtensattel

Auch heute erinnert uns das Wetter daran, dass wir in Kirgistan Herbst haben, es ist grau und sieht nach Regen aus. Beim Frühstück mit Crêpes und Quark - scheint hier üblich zu sein - entscheiden wir uns, auf besseres Wetter zu warten und die geplante Bergtour zu kürzen. Ich gehe ins Dörfchen, um Würfel zu kaufen, bekomme aber keine und bringe stattdessen vier kasachische Bier mit. Vielleicht helfen die auch.

Nach dem Mittagessen machen wir uns auf den Weg und steigen in die Hügel hinter dem Dorf auf, wo wir nach etwa drei Stunden einen Sattel mit grossen Steinen erreichen, die uns an Jurten erinnern. Zum Aufwärmen ein kleines Feuer, dann Abstieg durch die trockenen, intensiv nach Kräutertee duftenden Wiesen. Kaum sind wir im Guesthouse, kommt ein heftiges Unwetter auf. Den Abend verbringen wir mit Spaghetti, Backgammon und kasachischem Bier.

 
 

Wo Rauch ist, ist auch Thiller - sowie Bilder von unterwegs und das obligate Gipfelfoto

20Sept
2001

Djeti Oguz

Nach dem Frühstück bringt uns ein Taxi nach Djeti Ogus und wir werden bei einer Familie einquartiert. Irgendwie wissen wir grad nicht so recht, was uns hier erwartet und unserer Gastgeberfamilie scheint diesbezüglich auch etwas unsicher zu sein. «Morgen» heisst es, sehen wir weiter. Von den roten Felsen in Dorfnähe sind wir hingegen begeistert und wir machen eine Wanderung dorthin.

Es ist recht kühl und wechselhaft, zwischendurch regnet es leicht. In einem Wäldchen suchen wir Schutz vor dem Regen und Thiller macht zum Aufwärmen und Teekochen ein Feuer, wobei die Gefahr einer Rauchvergiftung dabei deutlich grösser ist als die des Erfrierens. Anschliessend bummeln wir durch das nahezu verlassene Sanatorium und erkunden die Gegend. Beim Abendessen gibt’s neben einem Eintopf Kräutertee, der genau so riecht wie die Wiese auf der gestrigen Wanderung. Valentine (unsere Gastgeberin) und ihre Familie scheinen von diesen Kräutern zu leben, neben dem Tee stellen sie irgendwelche Kapseln daraus her, deren Zweck wir nicht verstehen, die sie aber auf einem Markt in Moskau verkaufen.

 

21Sept
2001

Entrecôte

Pünktlich nach dem Frühstück steht ein Guide mit zwei Pferden parat. Wir fragen etwas unsicher, ob er denn neben uns herrennen wolle, was erst eine gewisse Ratlosigkeit und dann Diskussionen auslöst. Daraufhin wird ein drittes Pferd organisiert, wir sitzen auf und reiten erst einem Fluss entlang und durch eine Schlucht weiter in die Berge. Anfangs habe ich ein paar kleinere Meinungsverschiedenheiten mit meinem Reittier, nachdem ich ihm gedroht habe, ihn mittags auf den Grill zu legen, wenn er nicht pariere, geht es besser. Ich nenne ihn daher Entrecôte, Thiller meint, es sei ein wunderschöner schwarzer Wallach.

Um die Mittagszeit erreichen wir eine Blockhütte, wo wir rasten und etwas essen. Leider gibt es kein Kumys dazu. Der Rückweg führt über einen Grat, von dem wir einen herrlichen Ausblick über den Yssyk-Kul und die umliegenden roten Felsen haben. Das Wetter wird zunehmend besser und die letzten Kilometer legen wir bei einzigartiger spätsommerlicher Beleuchtung zurück. Wir - habe ich jetzt wirklich grad «wir» geschrieben? - würden gerne noch eine Schlaufe dranhängen, unser Guide scheint aber nicht so viel Sitzleder zu haben wie wir und daher reiten wir zurück ins Dorf, wo wir ihn auf ein Bier einladen, bevor wir zurück zu unserer Unterkunft gehen.

 
 

22Sept
2001

Karakol

Nach dem Frühstück nehmen wir Abschied von unseren Gastgebern. Valentine tut zutiefst beleidigt, als wir ihr etwas für Kost und Logis bezahlen wollen und schenkt uns im Gegenzug noch einen Sack Kräutertee. Auf dem Weg zur Busstation wird uns eine Mitfahrgelegenheit angeboten, es könne gleich los gehen, sie müssen nur noch schnell etwas reparieren. Zwei Stunden lang wird der Schiguli kreuz und quer über den Dorfplatz geschoben, doch sämtliche Versuche, ihn anrollen zu lassen, scheitern. Dann wird das Zündkabel ersetzt, das Auto gestartet, wir steigen ein und lassen uns nach Karakol bringen, wo wir am Nachmittag eintreffen und uns in einem Hotel einquartieren.

Unsere Gastgeber in Djeti Oguz.

23Sept
2001

Viehmarkt

Jeden Sonntag findet in Karakol ein grosser Viehmarkt statt. Nicht dass wir Bedarf hätten, er gilt jedoch als Attraktion des Städtchens. In aller Herrgottsfrühe machen wir uns auf den Weg zum Marktgelände, wo es nur so von Menschen wimmelt. Vor allem Schafe als Grundnahrungsmittel, aber auch Pferde und Rinder, vereinzelt Ziegen und sogar Kamele werden feilgeboten. Wie die Schafe begutachtet werden, ist eine Show für sich: denen wird immer wieder an den Rippen und am Hintern rumgedrückt, denn der Fettanteil des Tieres ist das wichtigste Qualitätsmerkmal und hat einen entscheidenden Einfluss auf den Preis.

Wimmelbild: Wo ist Thiller?

Mitte Vormittag löst sich der Markt langsam auf. Wir holen unser Gepäck im Hotel ab, essen in einem Restaurant Lagman mit nahezu glasigen Schaffleischstücken (also fast pures Fett) und gehen zum Busbahnhof. Eine neunstündige Busfahrt bring uns die rund vierhundert Kilometer zurück nach Bishkek, wo wir ein letztes Mal unsere Wohnung beziehen.

 

Bilder vom Viehmarkt: Schafe werden von der attraktiven Seite her präsentiert.

24Sept
2001

Bürotag

Obschon wir heute ins Büro «müssen», schlafen wir erst mal aus und gönnen uns ein gutes Frühstück. Danach lassen wir uns zu Kurt ins Büro bringen, wo wir an der Webseite weiterarbeiten und gegen Abend sogar eine einfache HTML-Seite unter www.forest.kg ins Netz stellen können. Nach einem Feierabendbier gehen wir essen und stürzen uns dann ins Bishkeker Nachtleben - aber auch heute ist nicht viel los, wie schon bei den letzten Versuchen.

forest.kg v1.0

25Sept
2001

Mitteleuropäer

Den Vormittag verbringen wir zu einem Grossteil im Bad, um uns wieder in Mitteleuropäer zu verwandeln. Und natürlich mit Packen für den morgigen Heimflug, was uns wegen unserem Gepäckvolumen und der Gewichtslimite vor einige Herausforderungen stellt. Zudem erwarten wir wegen den Anschlägen in Amerika strenge Sicherheitskontrollen und fragen uns, wie etwa auf meinen Benzinkocher im Gepäck reagiert wird. Meine Notkocher mit Brennpaste musste ich damals in Ankara beim Betreten des Flughafens schon entsorgen - und das war lange vor den Anschlägen.

vorher/nachher - sorry Thiller    

Nachmittags ziehen wir noch einmal durch die Gassen und zum z’Nacht haben uns Galina, Kurt und Olga eingeladen. Bei Pilmeni - den hiesigen Ravioli, die wir auch als Manty kennen und eine gewisse Ähnlichkeit mit Chingali haben (Erklärungsversuch eines regional-kulinarischen Banausen) - und einer guten Flasche Roten mit abschliessendem Kaffee Zwetschgen lassen wir es uns noch einmal so richtig gut gehen. Wir schenken Wüthrichs unter anderem unser Zelt, das wir aus Gewichtsgründen nicht mitnehmen können. Am 9. August 2019 werde ich von Kurt eine WhatsApp-Nachricht bekommen mit «Kennsch das no?» und einem Foto seiner Enkelin vor diesem Zelt. Es wird dann in Skopje (Nordmazedonien) stehen und seit Jahren in Ehren gehalten...

26Sept
2001

Heimreise

Für die Fahrt zum Flughafen chartern wir noch einmal Basarbai mit seinem Schiguli. Wir haben auf Empfehlung des Airline-Office ordentlich Zeitreserve eingeplant, es sei zu erwarten, dass die Sicherheitskontrollen deutlich länger dauern würden als früher. Tatsächlich zeigt der Kontrollbeamte dann auf seinen Bildschirm mit dem Röntgenbild von meinem Rucksack und will wissen, was ich da oben drin habe, eine dunkle Stelle gibt ihm Rätsel auf. Ich weiss es nicht, zucke mit den Schultern und will grad den Rucksack öffnen, um mein Hab und Gut ein letztes Mal auf einem Tisch zu verteilen, da winkt der Beamte ab und lässt es gut sein. So viel zu den strengen Sicherheitskontrollen - das haben wir bekanntlich auch schon anders erlebt.

Mit einem Zwischenstopp in Istanbul fliegt uns Turkish Airlines zurück in die Heimat.

Das war’s.

 

Wir haben in den letzten drei Monaten unzählige tolle Menschen kennengelernt, die unsere Reise zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben. Ganz herzlichen Dank an alle! Leider sind diese Kontakte auch wieder verloren gegangen, denn so unvorstellbar das scheint, aber 2001 hat tatsächlich noch nicht jeder eine E-Mail-Adresse oder eine Mobilenummer und Social Media Plattformen existieren noch nicht. Darum wird dieser Dank leider vermutlich nicht ganz alle erreichen.

Merci viel Mal an Monika und Markus, deren Tifliser-Haus wir während einem Monat auf den Kopf gestellt und gemeinsam einiges in Georgien erlebt haben. Und auch an Galina, Kurt und Olga für das Gastrecht in Bishkek und die organisatorische Unterstützung für unsere zwei tollen Trips in Kirgistan.

Und natürlich:
«HOI MICHAIL, spasibo für alles, es war karascho; ochen karascho»